Phobia: Thriller (German Edition)
Gedanken. Das war also Wakefields Motivation. Ein Sterbenskranker, der Sarah wieder »ins Leben zurückholen« wollte, weil sie »noch eine Chance hat« – so oder so ähnlich hatte er es formuliert –, im Gegensatz zu Wakefield selbst und der jungen Frau auf dem Foto. Wahrscheinlich war auch sie an Krebs gestorben, und Sarahs Äußeres musste ihn an sie erinnert haben.
Doch das klärte noch nicht die Frage, warum Wakefield Stephen Bridgewater entführt hatte, und wo Stephen sich jetzt befand.
Plötzlich kam Mark eine Idee.
»Ja, ich weiß, dass er schwer krank ist«, sagte er. »Deswegen bin ich ja gekommen.«
Er fasste in seine Jacke und zog den Dozentenausweis hervor, den Somerville ihm gegeben hatte. »Hier, sehen Sie, ich arbeite für das King’s Hospital. Ich bin Sozialarbeiter und sollte bei Mr. Wakefield einige wichtige Unterlagen abholen. Nur haben meine Kollegen vergessen, mir zu sagen, dass Mr. Wakefield bereits im Krankenhaus ist.«
»Wichtige Unterlagen?«, wiederholte Mrs. Livingstone und machte ein bestürztes Gesicht. »Er ist doch nicht etwa …«
»Nein, keine Sorge, so schlimm ist es nicht«, sagte Mark und hob beschwichtigend die Hände. »Es geht nur um die Krankenversicherung von Mr. Wakefield.«
»Ach so.« Mrs. Livingstone nickte erleichtert.
Mark sah zu Wakefields Tür. Vielleicht befand sich dahinter die Antwort auf seine Frage – oder zumindest eine Spur, die Sarah und ihn zu Stephen führte.
»Sagen Sie, Mrs. Livingstone, gibt es hier einen Hausmeister?«
»Einen Hausmeister? Machen Sie Witze, junger Mann?« Sie stieß ein spöttisches Lachen aus. »Den letzten Hausmeister hat dieses Gebäude wohl noch zu Margaret Thatchers Zeiten gesehen. Nein, der Inhaber schert sich einen feuchten Kehricht um uns. Hauptsache, die Miete wird pünktlich überwiesen.«
»Mrs. Livingstone, es ist wirklich wichtig. Ich brauche diese Unterlagen für Mr. Wakefield. Gibt es sonst jemanden, der einen Zweitschlüssel zu seiner Wohnung hat? Sie vielleicht?«
»Ja, vielleicht.« Ihre Augen funkelten schelmisch.
Ein wacher Geist, gefangen in einem welken Körper , dachte Mark.
»Kann ich noch einmal Ihren Ausweis sehen?« Sie streckte ihm ihre dürre Hand entgegen, die von dunklen Altersflecken übersät war.
Mark zögerte kurz, dann hielt er ihr den Ausweis hin. Diesmal sah Mrs. Livingstone ihn sich genauer an.
»Hier steht aber Dozent , nicht Sozialarbeiter .«
»Ja, ich unterrichte nebenbei am College«, log Mark.
»Und Mark ist ja nur Ihr Vorname. Behrendt … Das klingt nicht sehr britisch. Sind Sie etwa ein Kraut?«
Mark seufzte. Er stand wohl der falschen Generation gegenüber. »Mein Vater war Deutscher.«
»Oh, wirklich?« Sie musterte ihn argwöhnisch. »Ich höre bei Ihnen aber keinen Akzent heraus.«
»Meine Mutter war Britin. Sie kam aus London. Ich bin hier aufgewachsen.«
»So etwas dachte ich mir«, sagte Mrs. Livingstone. »Wissen Sie, ich kann die Krauts immer noch nicht ausstehen. Sie haben meinen Rupert auf dem Gewissen. Er starb bei den Luftangriffen. Aber man kann sich seine Väter nun einmal nicht aussuchen. Nehmen Sie doch lieber den Mädchennamen Ihrer Mutter an, junger Mann.«
Abermals seufzte Mark. »Ich werde darüber nachdenken. Wie sieht es nun aus? Haben Sie einen Zweitschlüssel zu dieser Wohnung?«
»Na gut, aber Sie warten vor meiner Tür«, entgegnete Mrs. Livingstone und schlurfte in ihre Wohnung. Nach einer Weile kam sie mit dem Schlüssel zurück. »Wissen Sie, früher habe ich immer seine Blumen gegossen, wenn er im Krankenhaus war. Aber als es ihm dann schlechter ging, durfte er keine Pflanzen mehr in der Wohnung halten. Wegen der Allergien, verstehen Sie? Deswegen war ich schon länger nicht mehr bei ihm. Ich weiß auch gar nicht, ob es ihm recht ist, wenn wir …«
»Glauben Sie mir, Mrs. Livingstone, was wir tun, ist ganz in seinem Sinne.«
»Meinen Sie?«
»Er braucht die Unterlagen.«
»Na, wenn Sie es sagen.«
Sie schob sich an Mark vorbei und schloss die Tür zu Wakefields Wohnung auf.
Im selben Moment vernahm Mark Schritte im Treppenhaus. Erschrocken sah er sich um und überlegte eilig, wie er sich verhalten sollte, falls Wakefield ausgerechnet jetzt nach Hause kam. Dann erschien Sarah auf der Treppe, und er atmete erleichtert auf.
»Ich habe euch bis nach unten gehört«, sagte sie und fügte etwas lauter hinzu: »Guten Tag, Mrs. Livingstone.«
Die alte Dame beäugte sie skeptisch. »Gehört sie zu Ihnen, junger Mann?«
»Das ist
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