Phönix
und schaute mich um. Nichts zu sehen. Loiosh kam zurück und landete auf meiner Schulter und sah sich ebenfalls hastig um. Ich wurde nicht angegriffen.
Dann fiel mir auf, daß Melestav einen Dolch in der Hand hielt, und aus seiner Lage konnte ich schließen, was er vorgehabt hatte. Erst dann bemerkte ich Kragar, der über dem Körper meines Sekretärs stand.
»Scheiße«, sagte ich.
Kragar nickte. »Du hast genau richtig gestanden, Vlad.«
»Aber dich hat er nicht bemerkt.«
Gleichzeitig fing ich zu zittern und zu fluchen an. So knapp war es noch nie gewesen. Ich schaute auf seine Leiche hinunter. Er hatte mir nicht nur öfter als einmal das Leben gerettet, er war sogar dabei gestorben, und jetzt das. Jetzt hatte er versucht, mich umzulegen, und warum? Geld? Macht?
Wenn ihr es wissen wollt, er hat es versucht, weil ich unbedingt losziehen und jemanden aus dem Rat des Jhereg bedrohen mußte. Daran war nur ich allein schuld. Ich starrte auf die Leiche, bis Kragar sagte: »Es hat keinen Sinn, hier herumzustehen, Vlad. Ich kümmere mich darum. Bring dich in Sicherheit.«
Das tat ich ohne ein weiteres Wort.
Die Glocken vor dem Geschäft meines Großvaters machten klingeling, als ich durch den Teppich trat, den er als Tür benutzte. »Komm herein, Vladimir. Tee?«
»Danke, Noish-pa.« Ich küßte ihn auf die Wange und begrüßte seinen Vertrauten, einen kurzhaarigen weißen Kater namens Ambrus. Der Tee schmeckte stark nach Zitrone und war sehr gut. Beim Eingießen zitterten meinem Großvater ganz leicht die Hände. Ich saß in dem Leinenstuhl im Wohnzimmer, während Loiosh und Rocza sich, nachdem sie Noish-pa begrüßt hatten, bei Ambrus zu Unterhaltungen niederließen, deren Themen ich nur raten konnte.
»Wo sind deine Gedanken, Vladimir?«
»Noish-pa, was machen sie hier? Ich meine das Imperium und diese Rebellen.«
»Was machen sie? Du kommst deswegen zu einem alten Mann wie mir?« Aber er lächelte mich dabei mit den wenigen übriggebliebenen gelben Zähnen an und lehnte sich etwas zurück. »Na schön. Die Elefs wollen in den Krieg ziehen, aus welchen Gründen, haben sie mir nicht gesagt. Sie wollen Seeleute für ihre Schiffe, also ziehen sie dafür junge Männer und Frauen heran. Sie schicken Patrouillen her, die Leute schnappen und mitnehmen, ohne daß sie Zeit hätten, sich bei ihren Familien zu verabschieden, und sie bringen sie zu Schiffen, die dann fortsegeln. Jeder ist aufgeregt, manche bewerfen die Elefs, die sie mitnehmen wollen, mit Sachen. Diese Forradalomartok, die sagen nun, daß der Krieg ein, wie sagt man dazu? Urugy ?«
»Vorwand?«
»Ja, ein Vorwand ist, um Soldaten hierher zu bringen. Die Forradalomartok organisieren sich dagegen, und jeder sagt: ›Ja, ja, wir kämpfen‹, und dann nehmen die diesen Kelly fest, und jetzt sagen alle: ›Laßt ihn frei oder wir schlagen eure Stadt kurz und klein.‹«
»Aber das kam alles so schnell.«
»Aber so passieren solche Dinge, Vladimir. Du siehst die ganzen Bauern schläfrig glotzen und lächeln, und sie sagen: ›Oh, das ist halt unser Los‹, und dann passiert irgendwas, und sie sagen: ›Wir werden eher sterben, als daß sie das unseren Kindern antun.‹ In einer Nacht kann das passieren, Vladimir.«
»So sieht es wohl aus. Aber ich habe Angst, Noish-pa. Um sie und um Cawti.«
»Ja, sie läuft noch immer mit diesen Leuten. Du hast Grund zur Angst.«
»Können sie gewinnen?«
»Vladimir, warum fragst du mich? Wenn Soldaten in meinen Laden kommen, dann zeige ich ihnen, wie alt ich bin. Aber ich gehe sie nicht suchen, und deshalb weiß ich nichts davon. Vielleicht, ja, vielleicht können sie gewinnen. Vielleicht werden die Soldaten sie zermalmen. Vielleicht beides zugleich. Ich weiß es nicht.«
»Ich muß entscheiden, was zu tun ist, Noish-pa.«
»Ja, Vladimir. Aber ich kann dir dabei kaum helfen.«
Wir schlürften eine Weile unseren Tee. Ich sagte: »Keine Ahnung, vielleicht ist es gut, dieses Problem zu haben. Es bedeutet, ich muß mir keine Sorgen machen, was hinterher geschieht.«
Er lächelte nicht. »Es ist richtig, sich jetzt nicht zu sorgen. Aber ist dir das möglich?«
»Nein«, sagte ich und starrte mir auf die Hände. »Ich weiß, du heißt nicht gut, was ich tue. Das schlimme ist, ich bin mir nicht sicher, ob ich es noch gutheiße.«
»Wie ich dir schon einmal gesagt habe, Vladimir, Leute für Geld zu töten ist nichts, womit ein Mann seinen Lebensunterhalt verdient.«
»Aber, Noish-pa, ich hasse sie so sehr.
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