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Phönix

Phönix

Titel: Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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diesmal schneller, aber zum Hauptquartier schaffte ich es nicht. Noch eine halbe Meile entfernt stieß ich auf einen Wachposten. Aber da stand niemand mit einem goldenen Umhang; statt dessen waren dort mehrere Männer und Frauen, die meisten Ostländer, aber ein paar Teckla konnte ich auch erkennen, allesamt bewaffnet und alle mit gelben Stirnbändern. Sie standen lächelnd vor der Wachhütte und grüßten jeden, der vorbeikam.
    Wegen meiner Jheregfarben zogen sie Grimassen, sprachen aber bereitwillig mit mir. Ich fragte: »Was bedeutet das Stirnband?«
    »Es bedeutet«, antwortete eine biegsame Menschenfrau im mittleren Alter, »daß wir Beschützer sind. Wir haben die Kontrolle übernommen.«
    »Über was?« fragte ich.
    »Über diesen Teil der Stadt.«
    »Könnt ihr mir sagen, was passiert ist?«
    »Preßpatrouillen«, erwiderte sie, als wäre es Erklärung genug.
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Das kommt noch, Jhereg. Besser, du gehst jetzt weiter.«
    Entweder das oder ich würde mich an Ostländern vergreifen. Ich ging weiter.
    »Das gefällt mir nicht, Boß. Wir sollten hier verschwinden.«
    »Noch nicht, Loiosh.«
    Wind kam auf und brachte einen Geruch mit, den ich nicht einordnen konnte. Irgendwoher kannte ich ihn, und die Gedanken daran waren nicht angenehm. Aber was war es?
    »Pferde, Boß.«
    »Genau. Wo?«
    »Hier links. Nicht weit.«
    Tatsächlich nicht. Gleich um die Ecke der Straße standen mehr von den Biestern, als ich seit der Pferdearmee des Ostreiches auf der Wand an Baritts Gruft je an einem Ort gesehen hatte. Aber diesmal, anstatt daß sie geritten wurden, waren sie an großen Karren festgemacht – sechs oder sieben davon, glaube ich –, und die Karren wurden mit Kisten beladen. Ich erkannte die Bauerntransporte, die regelmäßig mit ihren Lieferungen nach Süd-Adrilankha kamen und wieder verschwanden, solange es noch Morgen war. Am ungewöhnlichsten war die pure Menge von ihnen.
    Ich näherte mich und fragte einen der Arbeiter, was da vor sich ging. Auch er sah mich wegen meiner Farben höhnisch an, sagte aber: »Wir haben die Kontrolle über Süd-Adrilankha; jetzt verteilen wir Proklamationen für die übrige Stadt.«
    »Proklamationen? Zeig mal her.«
    Achselzuckend nahm er einen Zettel aus der Kiste. In sauberer Druckschrift stand dort in entschieden einfallslosen Worten, daß die Ostländer und Teckla von Süd-Adrilankha sich weigerten, Preßpatrouillen in die Stadt zu lassen, und die Freilassung ihrer inhaftierten Anführer verlangten und sich wie ein Mann erhoben, um die Regierung den Händen der Tyrannen zu entreißen, und so weiter, und so weiter.
    Und genau da, als diese Karren losfuhren, überkam mich ein Gefühl des Unwirklichen – ein Gefühl, das stärker wurde, als ich fortging und, unbeachtet und ohne Versorgung, die Leiche eines Dragaeraners auf der Straße liegen sah, der an mehreren Verletzungen gestorben war und den goldenen Umhang der Phönixwachen trug.
     
     
    Viel später, in der Hütte einer ostländischen Familie, bei der ich eine Nacht verbrachte, entdeckte ich Maria Parachzeks kleines Pamphlet »Graues Loch in der Stadt«, das jene paar Tage in Adrilankha beschrieb. Als ich es las, durchlebte ich sie erneut; doch mehr noch, ich ertappte mich dabei, daß ich nickte und sagte: »Ja, so war es«, und: »Daran erinnere ich mich«, wenn sie den Stand des Lanzenmannes am Kleinmarkt beschrieb, die Wachposten, die, zwanzig nebeneinander, die Allee der Geldverleiher entlangmarschierten, die Verbrennung der Getreidebörse und andere Ereignisse, die ich selbst gesehen hatte. Falls ihr dieses Pamphlet in die Finger bekommt, lest es und fügt, wenn ihr wollt, an dieser Stelle Beschreibungen von Ereignissen, die euch bedeutsam erscheinen, ein. Denn bis ich es las, erinnerte ich mich so gut wie gar nicht an irgendeins dieser Ereignisse.
    Ich erinnere mich an Lachen und Schreie, die ineinander übergingen, als wären sie Bestandteil einer einzigen Komposition, dabei lagen sie Stunden auseinander. Ich erinnere mich an den Geruch des verbrannten Getreides und wie ich mir in die Hände gesehen und dort Asche gefunden hatte. Ich erinnere mich, wie ich in einer Allee stand, außer Reichweite eines Bataillons marschierender Phönixwachen, und mit dem abgebrochenen Griff einer Axt gegen die Mauer eines Gasthauses schlug. An dem Griff klebte Blut, aber ich weiß nicht, wie ich an das Ding gekommen bin, geschweige denn, ob ich das Blut darangebracht hatte.
    Maria Parachzek, wer sie auch

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