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Phönix

Phönix

Titel: Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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ist, konnte das Ganze in einen Sinnzusammenhang bringen, Ereignisse in eine Reihenfolge setzen und sie logisch verknüpfen. Ich konnte es damals nicht, also werde ich jetzt auch nicht so tun. Offenbar waren die Aufständischen, die Ostländer und Teckla, sogar auf der Siegerstraße bis spät am zweiten Tag der Rebellion, dem dritten Tag des neuen Jahres, als die Seeleute der Wellenkrone den Rebellen die Unterstützung entzogen und der Vierten Meereswacht die Landung gestatteten, die dann die Belagerung des Imperialen Palastes durchbrach. Aber von meinem Standpunkt aus gab es nie einen Unterschied zwischen gewinnen und verlieren, bis ganz zum Schluß, als die Orca durch die Straßen zogen und jeden niedermähten, dem sie begegneten. Und bis alles vorbei war, hatte ich keine Ahnung, daß der Imperiale Palast zweimal angegriffen worden war und neun Stunden lang unter Belagerung gelegen hatte.
    Ich weiß noch, wie mir einmal auffiel, daß ich schon einen ganzen Tag in Süd-Adrilankha war, und ich erinnere mich an den frühen Morgen dieses Tages, wo es schien, als würde die gesamte Stadt schreien, doch, während ich meine Erinnerungen durchsuche wie eine Kirschholzkommode, in der ich etwas verloren habe, ich glaube nicht, daß ich irgendwann mehr als höchstens sporadisches Kämpfen sah. Es gab Stille, ein paar Leute rannten vorbei, dann das Geräusch von Metall gegen Metall oder Metall gegen Holz, Schreie, der entsetzliche Geruch von verbranntem Menschenfleisch, der so ähnlich und doch so anders ist als der von gebratenem Fleisch.
    Habe ich tatsächlich einen Schlag für »meine Leute« erzielt? Ich weiß es nicht. Ich habe Loiosh gefragt, aber er erinnert sich an noch weniger; nur daran, daß er mich immer wieder gebeten hat, nach Hause zu gehen, und ich habe ihn jedesmal vertröstet. Ich weiß, daß ich oft versucht habe, mit Cawti in Verbindung zu treten, aber sie war nicht empfangsbereit.
    Aus irgendeinem Grund dachte ich erst, als das Massaker begann – und selbst da erkannte ich nicht, daß es eines war –, an meinen Großvater. Schnell lief ich durch die Straßen und merkte nur beiläufig, daß ich an Leichen von Ostländern, Männern, Frauen und Kindern, vorbeirannte. Ich bin dankbar, daß ich mir nur so wenig von dem vor Augen rufen kann, was ich gesehen haben muß. Ich weiß, daß ich auf etwas ausgerutscht und beinahe gefallen bin, und erst später wurde mir bewußt, daß es Blut war, das aus dem zerfetzten Körper einer alten Frau lief, die sich noch bewegte.
    Ich bin an ein paar Kämpfen vorbeigekommen, aber die meisten habe ich umgangen. Einmal traf ich auf eine Patrouille von vier Dragaeranern in goldenen Umhängen. Ich blieb stehen, sie ebenfalls. Sie sahen, daß ich ein Ostländer war, und sie sahen, daß ich ein Jhereg war, und ich glaube, das brachte sie durcheinander. Sie wußten nichts mit mir anzufangen. Ich hatte gerade keine Waffe in der Hand, aber sie sahen die beiden Jheregs auf meinen Schultern und das Rapier an meiner Seite. Ich fragte: »Nun?«, und sie zuckten die Achseln und gingen weiter.
    Die Feuer sah ich, als ich eine Meile und mehr vom Laden meines Großvaters entfernt war. Ich fing zu rennen an. Zuerst fiel mir bei meiner Ankunft auf, daß das Haus gegenüber brannte, wie auch der Obsthandel daneben. Als ich so nahe kam, daß ich das verbrannte Obst riechen konnte, sah ich, daß Noish-pas Geschäft noch stand, und fühlte mich erleichtert. Dann merkte ich, daß die gesamte Vorderseite fehlte, und mein Herz rutschte mir in die Hose.
    Ich kam an und entdeckte als erstes die Leichen von zwei oder drei Phönixwachen. Kein Zweifel, wer sie getötet hatte; jeder trug eine kleine Wunde über der Stelle, an der ein Dragaeraner oder ein Mensch das Herz hat. Ich stürzte in den Laden, und als ich ihn sah, wie er ruhig die Klinge sauberwischte, fing ich vor Erleichterung fast zu weinen an.
    Er blickte auf und sagte: »Du solltest verschwinden, Vladimir.«
    »Hä?«
    »Du solltest hier verschwinden. Sofort.«
    »Wieso?«
    »Schnell, Vladimir. Bitte.«
    Ich sah mir die Leichen an, dann meinen Großvater, und sagte: »Einer konnte abhauen, hm?«
    Er zuckte die Achseln. »Frauen konnte ich noch nie töten. Das ist eine Schwäche, die wir haben, weil wir Menschen sind.«
    »Du hattest Glück, daß sie keine Zauberin war«, sagte ich.
    »Mag sein. Aber es bleibt kaum Zeit. Du mußt sofort verschwinden.«
    »Wenn du mitkommst.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wohin. Sie werden dich

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