Physiologie der Ehe (German Edition)
von zwei guten falschen Zeugen bestätigt ist. Kein Gesicht vermag mich zu täuschen. Ich bin düster und trübsinnig. Ich kenne die Welt, und sie hat keine Illusionen mehr für mich. Meine heiligsten Freundschaftsgefühle sind verraten worden, ich wechsle mit meiner Frau einen unergründlich tiefen Blick, und unser unbedeutendes Wort ist ein Dolch, der unser Leben durchbohrt. Mich beherrscht eine entsetzliche Ruhe. Das also ist der Friede des Alters! Der Greis besitzt also zum voraus schon in seinem Innern den Friedhof, der gar bald ihn besitzen wird. Er gewöhnt sich an die Kälte. Der Mensch stirbt stückweis, wie uns die Philosophen sagen; und dabei führt er fast immer den Tod an; denn ist es wirklich immer Leben, was dieser mit seiner Knochenhand ergreift?
Oh! Jung und in der Lebensfülle sterben! Beneidenswürdiges Geschick! Heißt dies nicht, wie ein wundervoller Dichter sagte, ›alle seine Illusionen mit sich nehmen, wie ein König des Morgenlandes mit all seinen Edelsteinen und Schätzen, mit allem Menschenglück ins Grab steigen?‹ Wie sehr müssen wir nicht dem sanften, wohltätigen Geiste dankbar sein, der jedes Ding hienieden beseelt! Mit mütterlicher Sorgfalt zieht die Natur Stück für Stück uns unsere Kleider ab, entkleidet uns die Seele, indem sie allmählich unser Gehör, unser Gesicht, unsern Tastsinn schwächt, indem sie den Kreislauf unseres Bluts verlangsamt, indem sie unsere Säfte gerinnen läßt, um uns gegen den Angriff des Todes ebenso unempfindlich zu machen, wie wir es gegen die Angriffe des Lebens waren und diese mütterliche Sorgfalt, mit der sie sich um unsere gebrechliche Hülle bekümmert, verwendet sie ebenfalls auf die Gefühle und auf jenes doppelte Dasein, das aus der ehelichen Liebe entsteht. Zuerst sendet sie uns das Vertrauen: es streckt uns die Hand hin und ruft uns offenherzig zu: »Sieh! ich bin auf ewig dein!« Ihm folgt lässigen Schrittes die Schlaffheit, ihren blonden Kopf abwendend, um zu gähnen, wie eine junge Witwe, die die Redensarten eines Ministers anhören muß, der eine Pensionsanweisung für sie unterzeichnen will. Dann kommt die Gleichgültigkeit: sie streckt sich auf einem Sofa aus und denkt nicht mehr daran, ihr Kleid zu ordnen, das früher von der Begierde mit so keuscher Lebhaftigkeit emporgestreift wurde. Sie wirft ohne Schamhaftigkeit, aber auch ohne Unbescheidenheit einen Blick auf das Ehebett; und wenn sie überhaupt noch etwas wünscht, so sind es herbe Früchte, um die Schmeckwärzchen ihres abgestumpften Gaumens zu kitzeln. Endlich erscheint mit sorgenvoller Stirn und verächtlicher Miene die philosophische Lebenserfahrung: sie weist mit dem Finger auf die Ergebnisse, nicht auf die Ursachen hin; nicht der stürmische Kampf beruhigt, sondern nur der Sieg. Sie berechnet Zinsen mit den Steuerpächtern, sie bestimmt die Mitgift eines Kindes. Alles materialisiert sie. Durch einen Wink ihres Zauberstäbchens wird das Leben fest und verliert seine Elastizität: früher war alles im Fluß, jetzt ist alles zu Mineral erstarrt. Liebeswonne gibt es dann nicht mehr für unsere Herzen: sie ist gerichtet, sie war nur eine flüchtige Empfindung, eine vorübergehende Krisis. Wonach heute die Seele sich sehnt, das ist ein bestimmter Zustand, ein glücklicher Zustand, der von Dauer ist; und diese beruht nur in vollkommener Ruhe, in der Regelmäßigkeit der Mahlzeiten, des Schlafs und der Verrichtungen der schwerfällig gewordenen Organe.
»Das ist entsetzlich!« rief ich; »ich bin jung, lebenskräftig! Mögen lieber alle Bücher auf der ganzen Welt zugrunde gehen als meine Illusionen!«
Ich eilte aus meinem Arbeitszimmer heraus und stürzte mich in den Trubel von Paris. Und als ich die entzückendsten Gesichter an mir vorüberschweben sah, da bemerkte ich bald, daß ich nicht alt war. Die erste junge, schöne und elegant gekleidete Frau, die mir begegnete, verjagte durch das Feuer ihres Blicks den ganzen Hexenspuk, dessen Opfer ich durch eigene Schuld war.
Ich hatte meine Schritte nach dem Tuileriengarten gelenkt, und kaum hatte ich ihn betreten, da bemerkte ich das Musterbild des Ehemanns, mit dem die Schlußkapitel dieses Buches sich beschäftigen. Hätte ich die Ehe, wie sie mir vorschwebt, charakterisieren, idealisieren oder personifizieren wollen, so wäre es der heiligen Dreifaltigkeit selber unmöglich gewesen, ein so vollkommenes Sinnbild derselben zu schaffen.
Der Leser stelle sich eine Frau von etwa fünfzig Jahren vor: sie trägt einen
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