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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Überrock von braunrotem Merino; in ihrer linken Hand hält sie eine grüne Schnur, die an dem Halsband eines hübschen kleinen englischen Pinschers befestigt ist; den rechten Arm reicht sie einem Herrn in Kniehosen und schwarzen Seidenstrümpfen, unter dessen Hut mit seltsam aufgekrempten Rändern eine schneeweiße Taubenflügelfrisur sichtbar wurde. Ein Zöpfchen, von der Größe etwa einer Federpose, tanzte auf dem ziemlich fetten gelblichen Halse, den der zurückgeschlagene Kragen eines abgetragenen Rocks freiließ. Dieses Paar spazierte mit den würdevollen Schritten eines Botschafters; der Ehemann, der mindestens seine siebzig Jahre zählte, blieb freundlich stehen, sooft der Affenpinscher einen Einfall bekam. Ich beschleunigte meine Schritte, um dieses lebende Bild gegenwärtiger Betrachtung einzuholen, und war im höchsten Grade überrascht, als ich den Marquis von T. erkannte, den Freund des Grafen von Nocé, der mir seit langer Zeit das Ende der unterbrochenen Geschichte schuldig war, die ich in der siebzehnten Betrachtung bei der ›Theorie des Bettes‹ mitgeteilt habe.
    »Ich habe die Ehre,« sagte er zu mir, »Ihnen Frau Marquise von T. vorzustellen.«
    Ich machte der Dame eine tiefe Verbeugung; ihr Gesicht war blaß und von Runzeln durchzogen; ihre Stirn schmückte ein Kranz von Löckchen, die aber nicht die geringste Illusion hervorriefen, sondern im Gegenteil nur zu gut zu all den Runzeln paßten, die diese Stirn durchzogen. Die Dame hatte ein bißchen Rot aufgelegt und sah ziemlich genau wie eine alte Provinzschauspielerin aus.
    »Ich sehe nicht, was Sie gegen eine Ehe wie die unsrige sagen könnten!« sagte der alte Herr zu mir.
    »Das ist auch durch die römischen Gesetze verboten!« antwortete ich lachend.
    Die Marquise warf mir einen Blick zu, worin sich Unruhe und zugleich Mißbilligung aussprach; sie schien damit sagen zu wollen: »Sollte ich etwa so alt geworden sein, um nichts weiter als eine Konkubine zu sein?«
    Wir setzten uns auf eine Bank unter der schattigen Baumgruppe an der Ecke der hohen Terrasse, von der man die Place Louis quinze übersieht. Der Herbst entblätterte bereits die Bäume und streute vor uns die gelben Blätter seines Kranzes hin; aber die Sonne verbreitete immer noch eine sanfte Wärme.
    »Nun, ist das Buch fertig?« fragte mich der alte Herr in jenem salbungsvollen Tonfall, der den Mitgliedern der alten Aristokratie eigentümlich ist.
    Er begleitete diese Worte mit einem sardonischen Lächeln, das deutlich genug war.
    »So ziemlich,« antwortete ich. »Ich stehe jetzt bei der philosophischen Situation, bei der, wie ich glauben möchte. Sie selber angelangt sind; aber ich gestehe Ihnen, ich ...«
    »Sie suchen Ideen?« fiel er ein, indem er einen Satz beendigte, für den ich selber nicht die passenden Worte finden konnte. »Nun,« fuhr er fort, »Sie können kühnlich die Behauptung aufstellen, ein Mensch – verstehen Sie mich recht, ich meine natürlich: ein denkender Mensch – spricht schließlich, wenn er im Winter seines Lebens steht, der Liebe geradezu die Existenz ab, die unsere aberwitzigen Illusionen ihr verliehen haben!«
    »Wie? Sie wollten leugnen, daß es am Tage nach der Hochzeit Liebe gibt?«
    »Am Tage nach der Hochzeit – hm. Das wäre allerdings ein Grund; aber meine Heirat ist eine Spekulation,« fuhr er fort, indem er sich zu meinem Ohr neigte. »Ich habe mir die Pflege, die Aufmerksamkeiten, die Dienste gekauft, deren ich bedarf, und ich bin völlig sicher, daß gegen mich alle Rücksichten beobachtet werden, die mein Alter verlangt; denn ich habe in meinem Testament mein ganzes Vermögen meinem Neffen vermacht; da also meine Frau nur so lange reich sein kann, als ich lebe, so begreifen Sie, daß ...«
    Ich sah den alten Herrn mit einem so durchbohrenden Blick an, daß er mir die Hand schüttelte und lachend zu mir sagte:
    »Sie scheinen mir ein gutes Herz zu haben – nun, Sie können mir glauben, ich habe für Sie eine angenehme Überraschung in meinem Testament aufgehoben!«
    »Kommen Sie doch, Joseph!« rief die Marquise, indem sie einem Bedienten entgegenging, der einen Überrock mit wattiertem Seidenfutter auf dem Arm trug, »vielleicht ist es dem Herrn Marquis schon zu kalt gewesen.«
    Der alte Marquis zog den Überzieher an, knöpfte ihn zu, nahm meinen Arm und ging mit mir nach dem Teil der Terrasse, der vom wärmsten Sonnenlicht überflutet wurde. Dort sagte er zu mir:
    »In Ihrem Werke werden Sie ohne Zweifel vom Standpunkt des

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