Physiologie der Ehe (German Edition)
jungen Menschen über die Liebe gesprochen haben. Nun, wenn Sie aber Ihren Verpflichtungen gerecht werden wollen, die für Sie aus dem Wort ek..., elek...«
»Eklektische,« sagte ich lächelnd zu ihm, denn dieser philosophische Ausdruck hatte ihm niemals in den Kopf gewollt.
»Ich kenne das Wort wohl!« versetzte er; »wenn Sie also Ihrem Gelübde nachkommen und ›eklektisch‹ sein wollen, so müssen Sie über die Liebe auch einige Gedanken gereifter Männer vorbringen; ich werde Ihnen diese mitteilen und werde Ihnen das Verdienst derselben – wenn überhaupt etwas Verdienstvolles daran ist – nicht streitig machen; denn ich will Ihnen etwas von meinem Eigentum vermachen – dies wird allerdings auch das einzige sein, was Sie davon bekommen!«
»Kein Vermögen an Geld kommt einem Vermögen an Ideen gleich – vorausgesetzt allerdings, daß die Ideen gut seien! Ich werde also voller Dankbarkeit anhören, was Sie mir sagen wollen.«
»Liebe gibt es nicht!« sprach der alte Herr, indem er mich ansah. »Es gibt mal ein Gefühl, es ist nur eine unglückliche Notwendigkeit, die zwischen den Bedürfnissen des Leibes und denen der Seele die Mitte hält. Wir wollen aber einmal für einen Augenblick auf Ihre jugendlichen Gedanken eingehen und das Wesen dieser sozialen Krankheit festzustellen versuchen. Ich glaube, Sie können die Liebe nur entweder als ein Bedürfnis oder als ein Gefühl auffassen.«
Ich gab durch ein Zeichen meine Zustimmung zu erkennen.
»Fassen wir sie als ein Bedürfnis auf,« fuhr der Marquis fort, »so macht die Liebe sich später als alle andern Bedürfnisse geltend und hört zuerst auf. Wir sind verliebt mit zwanzig Jahren – von den kleinen Abweichungen gestatten Sie mir wohl abzusehen – und wir sind nicht mehr verliebt mit fünfzig. Wie oft würde sich im Laufe dieser dreißig Jahre das Bedürfnis fühlbar machen, wenn wir nicht durch unsere die Sinnlichkeit reizenden Großstadtsitten dazu herausgefordert würden, ferner durch unsere Gewohnheit, im Verkehr nicht nur mit einer Frau, sondern mit Frauen zu leben? Was müssen wir für die Erhaltung unserer Rasse tun? Vielleicht so viele Kinder zeugen, wie wir Brüste haben – denn wenn das eine stirbt, so wird das andere leben. Wenn diese beiden Kinder stets programmgemäß einträfen, wohin würde es dann mit den Nationen kommen? Dreißig Millionen Menschen sind für Frankreich eine zu starke Bevölkerung, denn die Erträgnisse des Bodens reichen nicht dazu aus, mehr als zehn Millionen vor elendem Hunger zu bewahren. Denken Sie daran, daß die Chinesen bereits genötigt sind, ihre Kinder ins Wasser zu werfen; so berichten die Reisenden. Zwei Kinder zu erzeugen – das also ist der ganze Zweck der Ehe. Die überflüssigen Liebesfreuden sind nicht nur Ausschweifung, sondern bedeuten sogar einen ungeheuren Verlust für den Menschen, wie ich Ihnen sofort nachweisen werde. Nun vergleichen Sie mit dieser armselig geringen Dauer und Betätigung der Liebe, was für Ansprüche die Befriedigung unserer übrigen Daseinsbedingungen tagaus, tagein und unser ganzes Leben lang an uns stellt! Die Natur macht uns stündlich auf unsere wirklichen Bedürfnisse aufmerksam; dagegen will sie durchaus nichts von den Ausschreitungen wissen, die unsere Phantasie zuweilen auf dem Gebiet der Liebe wünscht. Die Liebe ist also das allergeringste unserer Bedürfnisse, und das einzige, das wir vernachlässigen können, ohne daß dadurch den Funktionen unseres Körpers Abbruch geschieht. Die Liebe ist ein sozialer Luxus, wie Spitzen und Diamanten es sind. Betrachten wir die Liebe jetzt als Gefühl, so können wir dabei zwischen Vergnügen und Leidenschaft unterscheiden. Was ist das Wesen des Vergnügens? Die menschlichen Empfindungen beruhen auf zwei Grundgesetzen: Anziehung und Abneigung. Anziehung ist jene unbestimmte Vorliebe für alles, was unserm Selbsterhaltungstrieb schmeichelt; Abneigung geht aus demselben Instinkt hervor, indem er uns warnt, daß etwas ihm schädlich werden kann. Alles, was kräftig auf unsern Organismus wirkt, läßt uns unseres Daseins bewußt werden: und darin besteht eben das Vergnügen. Seine Einzelbestandteile sind der Wunsch und der Genuß, irgend etwas zu haben. Das Vergnügen ist ein in seiner Art einziges Element, und unsere Leidenschaften sind nur mehr oder minder ausdrucksvolle Abarten desselben; daher werden fast immer, wenn ein Vergnügen zur Gewohnheit wird, alle andern Vergnügungen dadurch ausgeschlossen. Nun aber hat die
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