Picknick auf dem Eis (German Edition)
er sich zu waschen und anzuziehen.
Die kalte Luft draußen machte ihn munterer. Anscheinend war ihm der Winter von Charkow aus hierher gefolgt.
›Ich muß den Chef anrufen…‹, dachte Viktor auf dem Weg. ›Ich muß ihm sagen, daß ich krank bin… Und Zeitungen muß ich holen, vielleicht kann ich ja trotzdem ein bißchen arbeiten…‹
In der Fischabteilung kaufte er ein Kilo gefrorene Scholle. Dann, nach kurzem Zögern, noch ein Kilo lebende Fische.
Zu Hause ließ er kaltes Wasser in die Badewanne, warf drei lebende silbrige Karpfen hinein und rief Mischa.
Als der die in der Wanne schwimmenden Fische sah, drehte er sich um und schlurfte zurück ins Zimmer.
Viktor zuckte mit den Schultern, er verstand seinen Zögling nicht.
Es klingelte an der Tür.
Durch den Spion sah Viktor Mischa-Nicht-Pinguin und öffnete die Tür.
»Guten Tag!« sagte Mischa beim Hereinkommen. »Ich habe ein paar Aufträge für dich. Wie geht es?«
Viktor nickte nur.
Sie gingen in die Küche. Sofort kam auch der Pinguin hinterhergewatschelt.
»Ah, Namensvetterchen!« lachte der Gast. »Grüß dich!«
Dann wandte er sich an Viktor.
»Und wieso guckst du so düster?« fragte er. »Bist du krank oder was?«
»Ja.« Viktor nickte. »Und überhaupt ist alles beschissen…«
Aus irgendeinem Grund wollte er sich ausweinen, und obwohl ihn seine innere Stimme warnte, konnte er sich nicht beherrschen.
»Ich schreibe und schreibe, und niemand sieht, wie ich ackere…«, sagte er, nicht wehleidig, eher ärgerlich, keinerlei Mitleid heischend. »Es sind schon mehr als zweihundert Seiten… Und alles umsonst…«
»Aber warum denn umsonst?« unterbrach ihn Mischa-Nicht-Pinguin. »Du schreibst einfach für die Schublade, wie viele Schriftsteller in der guten alten Sowjetzeit. Aber mit dem Unterschied, daß man deine Texte früher oder später auf jeden Fall drucken wird… Das kann ich dir garantieren.«
Viktor nickte, da er den Wahrheitskern in Mischas Worten erkannte, aber sein Anfall von Unzufriedenheit wollte nicht vorbeigehen. Er konnte weder lächeln noch innerlich zur Ruhe kommen.
»Über wen hast du am besten geschrieben, was meinst du?« fragte Mischa-Nicht-Pinguin.
»Über Jakornitzkij«, antwortete Viktor nach kurzem Nachdenken und erinnerte sich an das lange Interview mit der Flasche finnischen Wodkas.
»Ist das der Schriftsteller und Abgeordnete?« fragte Mischa nach.
»Ja.«
»Na schön«, sagte er. »Ich habe dir hier was Interessantes mitgebracht. Lies mal.«
Viktor nahm einige Seiten und überflog sie. Unbekannte Namen, Fetzen von Biographien, Daten. Aber Viktor hatte keine Lust, sich jetzt damit intensiver zu beschäftigen. Er nickte einfach und legte die Blätter beiseite.
»Ruf mich an, wenn du fertig bist«, bat Mischa-Nicht-Pinguin und überreichte Viktor seine Visitenkarte.
15
Draußen fiel der erste Schnee. Viktor trank Kaffee und las die ihm von Mischa-Nicht-Pinguin vor einigen Tagen mitgebrachten Seiten. Biographische Dossiers über den stellvertretenden Leiter der Steuerinspektion und den Wirt des Restaurants ›Karpaten‹. Die Biographien dieses Paares waren bunt genug, um daraus hervorragende ›Kreuzchen‹ zu machen. ›Mit solchen Figuren könnte man einen hervorragenden Abenteuerroman schreiben‹, dachte Viktor. ›Das sind tolle Negativhelden!‹ Aber um einen Roman zu schreiben, brauchte man völlig freie Zeit, die Viktor nicht hatte. Dafür hatte er jetzt Geld, den Pinguin Mischa und drei silbrige Karpfen, die in der Wanne schwammen. Aber konnte man das etwa als Kompensation für einen nicht geschriebenen Roman ansehen?
Als Viktor die Karpfen wieder einfielen, holte er ein Stück Weißbrot und ging ins Badezimmer, um die lebenden Fische zu füttern.
Während er das Brot zerkrümelte, hörte er hinter sich ein Schnaufen. Er drehte sich um und erblickte Mischa. Der sah traurig auf die in der Wanne schwimmenden Fische.
»Was ist denn, magst du keine Süßwasserfische?« fragte Viktor den Pinguin und gab sich selber die Antwort. – ›Natürlich nicht, du bist schließlich aus der Antarktis, vom Meer…‹
Als er ins Zimmer zurückkam, rief Viktor den Revierpolizisten an und lud ihn zum Fischessen ein.
Draußen schneite es immer noch.
Viktor stellte seine Schreibmaschine auf den Küchentisch und machte sich daran, Wort für Wort lebendige Bilder von zukünftigen Toten zu malen.
Die Arbeit ging langsam, aber sicher voran. Jedes Wort fand seinen unverrückbaren Platz, wie das Fundament
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