Picknick auf dem Eis (German Edition)
der Stimme der Frau spürte.
»Wie ist Ihr Name?« fragte die Stimme.
Irgendwas stimmte da nicht, und als Viktor bemerkte, daß seine Hand zu zittern begann, legte er auf.
»Kaffee!« soufflierte er sich. »Du mußt einen Kaffee trinken.«
Nachdem er sich angezogen und zwei Handvoll Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, ging er runter in die Restaurantbar und bestellte an der Theke einen doppelten Mokka.
»Setzen Sie sich irgendwo hin, ich bringe Ihnen den Kaffee«, sagte der Barkeeper.
Viktor suchte sich einen Platz in der Ecke der Bar, setzte sich auf einen breiten, weichen Samtpuff vor einem Tisch mit einer Glasplatte. Er zog einen schweren Glasaschenbecher näher zu sich heran und drehte ihn nachdenklich hin und her.
In der Bar war es ruhig.
Der Barkeeper stellte eine Tasse Kaffee auf den Tisch.
»Sonst noch was?« fragte er.
»Nein, danke.« Viktor nickte vor sich hin, dann hob er den Blick und sah den Barkeeper scharf an. »Sagen Sie, was war das für eine Schießerei heute morgen?«
Der Barkeeper zuckte mit den Schultern.
»Sie haben wohl irgend so eine Valutanutte ermordet… hat wahrscheinlich jemanden beleidigt.«
Der Kaffee schmeckte ein wenig bitter, aber Viktor verspürte fast sofort seine wohltuende Wirkung. Seine Hände zitterten nicht mehr, und gewisse Nervenstränge in seinem Schädel verlangsamten ihr schnelles Zucken. Viktor wurde wieder ruhig. Er versuchte, seine Gedanken zu sammeln.
›Es ist nichts Schlimmes passiert‹, hörte er seine eigene innere Stimme, die so überzeugend klang, daß es unmöglich war, ihr nicht zu glauben. ›So ist einfach das Leben. Das ganz gewöhnliche Leben. Du mußt den Chefredakteur anrufen, fragen, was du tun sollst.‹ Als Viktor ausgetrunken und gezahlt hatte, ging er nach oben in sein Zimmer und rief in Kiew an.
»Sie haben eine Rückfahrkarte für heute«, sagte Igor Lwowitsch ruhig. »Kommen Sie zurück. Sie beschäftigen sich weiter mit Kiew. Mit der Provinz werden wir uns vorläufig noch etwas gedulden…«
Erst in seinem Abteil des Zuges nach Kiew schlug er die auf dem Bahnhof gekaufte ›Charkower Abendzeitung‹ auf. Beim Durchblättern entdeckte er die Kriminalrubrik mit den neuesten Verbrechen. Unter der Spalte ›Morde‹ las Viktor: »Gestern gegen fünf Uhr wurde in seiner Wohnung der Korrespondent der ›Hauptstadtnachrichten‹ Nikolaj Agniwzew von unbekannten Tätern erschossen.«
Viktor wurde mulmig zumute. Er ließ die aufgeschlagene Zeitung auf die Knie sinken. Der Zug ruckte plötzlich an, und die Zeitung fiel auf den Boden.
13
Als er morgens die Treppe zu seiner Wohnung hochstieg, begegnete Viktor dem Revierpolizisten.
»Ah, guten Morgen!« freute sich Sergej Fischbein-Stepanenko. »Sie sehen etwas blaß aus…«
»Wie geht es Mischa?« fragte Viktor gehetzt.
»Alles in Ordnung!« lächelte der Revierpolizist. »Natürlich hat er sich ohne sein Herrchen gelangweilt. Und im Gefrierfach ist kaum noch Fisch.«
»Vielen Dank!« Viktor versuchte, dankbar zu lächeln, aber sein Lächeln fiel schwächlich und säuerlich aus. »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet! Vielleicht trinken wir mal einen Wodka?«
»Danke. Da sage ich nicht nein«, nickte der Polizist. »Rufen Sie an, meine Nummer haben Sie ja! Und wenn ich noch mal auf Ihren Zögling aufpassen soll – genieren Sie sich nicht! Ich mag Tiere. Natürlich nur echte, nicht die, mit denen ich es im Dienst zu tun habe…«
Mischa freute sich, daß sein Herrchen wieder da war. Er stand schon auf dem Flur, als Viktor hereinkam und das Licht anmachte.
»Hallo, mein Lieber, du!« Viktor hockte sich hin und sah dem Pinguin in die Augen.
Ihm schien es, als ob Mischa lächelte.
In den Augen des Pinguin blitzten tatsächlich Freudenfunken auf, und er machte einen plumpen Schritt vorwärts, seinem Herrchen entgegen.
›Wenigstens einer, der in dieser Welt auf mich wartet!‹ dachte Viktor.
Er erhob sich, zog seinen Mantel aus und ging ins Zimmer. Der Pinguin watschelte hinter ihm her.
14
Am Morgen hatte Viktor Kopfschmerzen. Er lag im Bett und hatte überhaupt keine Lust aufzustehen.
Der Wecker zeigte halb zehn.
Während er sich mit offenen Augen von einer Seite auf die andere wälzte, entdeckte er den Pinguin am Kopfende seines Betts.
»Ach du lieber Gott!« seufzte Viktor und schwang seine Beine aus dem Bett. »Ich habe ihn ja seit gestern nicht gefüttert.«
Und ohne weiter auf das schmerzhafte Dröhnen im Kopf und auf die pochenden Schläfen zu achten, begann
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