Picknick auf dem Eis (German Edition)
halten sich daran«, und er wies mit dem Kopf auf den grünen Vorhang, durch den Viktor in das Kasino gegangen war.
Viktor ließ die Jetons vor der Kasse liegen, ging zum Vorhang und sah hindurch. Etwa fünf Meter von ihm entfernt standen vier kräftige Männer im Foyer des Hotels. Einer von ihnen entdeckte Viktor und zwinkerte ihm fröhlich zu.
Viktor sammelte seine Jetons ein und spielte weiter. Gegen Morgen schlief er in der Bar auf dem schwarzen Leder des weichen Sofas ein.
Gegen neun Uhr weckte ihn jemand, wühlte in seiner Tasche, und als er dort den Zimmerschlüssel mit dem schweren Hotelanhänger gefunden hatte, brachte er Viktor auf sein Zimmer.
In der dritten Spielnacht fühlte er, daß ihn seine Kräfte verließen. Vor seinen Augen tanzten nur noch Nebelstreifen, und er konnte nicht mehr deutlich sehen, wohin er seine Jetons setzte. Aber trotz allem gewann er. Er gewann und gewann, bis er endgültig erschrak. Er sah, wie der Croupier und die Hotelsicherheitsbeamten, alle elegant gekleidet und sorgfältig gekämmt, ihn mit kalten unbeweglichen Augen beobachteten.
Gegen Morgen kam einer von ihnen auf ihn zu.
»Vielleicht möchten Sie nach Hause gebracht werden?« fragte er und wartete mit wächsernem Lächeln auf die Antwort.
»Nach Hause?« fragte Viktor zurück. Schon in dem Wort hörte er eine Bedrohung.
»Wir bringen Sie in einer Limousine dahin, fürchten Sie nichts, wenn Sie wollen mit einem Bodyguard. Sie können Ihre Jetons in Dollar umtauschen, Sie können sie auch hier lassen und wieder kommen…«
»Was ist heute für ein Tag?« fragte Viktor plötzlich.
»Der neunte Mai«, antwortete der Mensch mit dem wächsernen Lächeln.
»Und wie spät ist es?«
»Halb acht.«
Viktor überlegte. Der neunte Mai… Das war nicht nur einfach der frühere ›Tag des Sieges‹… Das war der Tag von Mischas Abflug… Nein, Mischa wird jetzt nicht fliegen. Er ist in der Teofania-Klinik, und da warten sie sicher ungeduldig auf Viktor, um ihm die Stetschkinpistole in seine toten Hände zu legen.
»Können Sie mich zur Flugzeugfabrik bringen?« fragte Viktor nach einer Pause.
Sie sahen ihn verwundert an.
»Natürlich können wir das«, sagte der Mann mit dem Wachslächeln. »Mit einem Bodyguard?«
Viktor nickte.
Der Mann trat zur Seite.
Die Limousine war riesig. Viktor hatte so ein Auto noch nie gesehen. Er setzte sich hinein wie in ein Zimmer. Neben ihm saß der Bodyguard und bot ihm dienstfertig einen Gin-Tonic an. Es gab einen kleinen Eisschrank im Auto.
Die Limousine fuhr den Prospekt-des-Sieges entlang. Die Fensterscheiben waren ein wenig getönt, aber Viktor konnte gut sehen, wie die Passanten stehenblieben und der Limousine nachblickten.
Zufrieden lächelnd trank er noch einen Gin-Tonic. Er war immer noch betrunken. Da zog er eine Handvoll Jetons aus seiner Tasche und hielt sie dem Bodyguard hin. Der nahm sie und bedankte sich.
Als die Limousine vor der Einfahrt zur Flugzeugfabrik hielt, wandte sich der Bodyguard an Viktor.
»Wohin jetzt?« fragte er.
»Suchen Sie Valentin Iwanowitsch vom Antarktis-Komitee. Er soll mich hier abholen.«
Der Bodyguard stieg aus, und Viktor sah, wie er ruhig durch die Einfahrt lief und im Innern des Gebäudes verschwand. Und niemand hielt ihn auf.
Nach etwa fünf Minuten kam er zurück.
»Valentin Iwanowitsch wartet auf Sie«, sagte er und wies mit dem Kopf zum Eingang.
»Sie können fahren«, sagte Viktor und stieg aus der Limousine.
Valentin Iwanowitsch hatte sich zunächst erschrocken, aber als er Viktor sah, seufzte er erleichtert auf.
»Uff! Ich habe nicht verstanden, wer da was von mir wollte…«, sagte er. »Und wo ist der Pinguin?«
»Der Pinguin bin ich«, entgegnete Viktor düster.
Valentin Iwanowitsch nickte nachdenklich.
»Na, dann kommen Sie«, sagte er. »Wir sind schon beim Beladen des Flugzeugs…«
Foto: © Regine Mosimann/Diogenes Verlag
ANDREJ KURKOW, geboren 1961 in St. Petersburg, lebt seit seiner Kindheit in Kiew und schreibt in russischer Sprache. Er studierte Fremdsprachen (er spricht insgesamt elf Sprachen), war Zeitungsredakteur und während des Militärdienstes Gefängniswärter. Danach wurde er Kameramann und schrieb zahlreiche Drehbücher. Sein Roman Picknick auf dem Eis ist ein Welterfolg. Andrej Kurkow lebt als freier Schriftsteller in Kiew und arbeitet daneben für Radio und Fernsehen.
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