Picknick auf dem Eis (German Edition)
einer ägyptischen Pyramide.
»Gegen seinen Willen stimmte der selige Verstorbene dem Mord an seinem jüngeren Bruder zu, in dessen Hände zufällig die Liste von Aktionären einer noch nicht privatisierten Waschmaschinenfabrik gefallen war. Der Grabstein, den der Verstorbene zum Gedenken an den Bruder gestiftet hatte, wurde zum echten Schmuckstück des Friedhofs. Oft begegnen wir dem Tod im Leben, aber selbst der Tod eines nahen Menschen zwingt einen, weiterzuleben, trotz allem weiterzuleben. Alles ist voneinander abhängig. Das Leben aller ist ein Ganzes, und deshalb hinterläßt der Tod eines kleinen Teils des Ganzen immer noch Leben, weil die Menge der lebendigen Anteile am Ganzen immer größer ist als die Menge der toten Anteile…«
Der Revierpolizist Fischbein-Stepanenko kam zum Abendessen, er trug Jeans und einen schwarzen Pullover über einem gestreiften Flanellhemd. Er kam mit einer Flasche Kognak und gefrorenem Dorsch für den Pinguin.
Das Abendessen war noch nicht fertig, sie brieten gemeinsam die Karpfen, die endlich die Badewanne wieder frei gegeben hatten. Währenddessen planschte der Pinguin in dem frischen kalten Wasser. Viktor und Sergej hörten zwischen dem Zischen der in der Pfanne bratenden Fische das Plätschern in der Wanne und lächelten vor sich hin.
Schließlich waren die Fische gar.
Sie tranken ein Glas Kognak und stürzten sich auf die Karpfen.
»Ziemlich grätig«, sagte Viktor, als ob er sich im Namen der Fische entschuldigen wollte.
»Das macht nichts«, nickte der Revierpolizist. »Man muß für alles bezahlen… Je mehr Gräten ein Fisch hat, desto besser schmeckt er. Ich erinnere mich noch, wie ich mal Walfischfleisch probiert habe – das ist ja immerhin auch ein Fisch! Keine Gräten, aber auch kein Geschmack…«
Sie tranken Kognak zum Fisch, sahen aus dem Fenster und betrachteten den von fremden Fenstern schwach beleuchteten Schnee in der Dunkelheit. Irgend etwas an diesem Abendessen erinnerte an Silvester.
»Warum lebst du allein?« fragte Sergej, nachdem sie Brüderschaft getrunken hatten.
Viktor zuckte mit den Schultern.
»Das hat sich so ergeben«, antwortete er. »Ich habe kein Glück mit Frauen. Alle sind wie Phantome. Still, fast bemerkt man sie nicht. Erst sind sie da, wohnen hier, und dann verschwinden sie plötzlich wieder… Ich habe es satt. Da habe ich mir den Pinguin geholt, und schon fühle ich mich viel besser. Aber aus irgendeinem Grund ist er dauernd traurig… Vielleicht hätte ich lieber einen Hund nehmen sollen. Hunde sind gefühlvoller, bellen fröhlich, begrüßen dich schwanzwedelnd, lecken dich ab…«
»Ach was!« winkte Sergej ab. »Mit einem Hund mußt du zweimal am Tag gassigehen, die Wohnung stinkt nach ihnen… Da ist ein Pinguin besser. Und was machst du beruflich?«
»Ich schreibe«, antwortete Viktor.
»Für Kinder?«
»Wieso für Kinder?« wunderte sich Viktor. »Nein, ich schreibe für die Zeitung.«
»Aha«, nickte Sergej. »Ich mag keine Zeitungen. Die machen mich immer depressiv.«
»Ich mag sie auch nicht. Apropos, woher stammt eigentlich dein Name? Fischbein…«
Sergej seufzte tief.
»Weißt du, mein Leben war furchtbar langweilig. Und eine Tante von mir arbeitete in der Paßabteilung. Da habe ich beschlossen, auf dem Papier Jude zu werden, um, weiß der Teufel, irgendwohin auszureisen. Ich habe einfach gesagt, ich hätte meinen Paß verloren – so hat es mir meine Tante beigebracht –, und sie hat mir einen neuen Paß mit dem neuen Namen ausgestellt. Dann habe ich erfahren, wie die Emigranten im Ausland leben. Kein Grund neidisch zu werden. So habe ich beschlossen, hier zu bleiben, und um als Jude nicht unbewaffnet rumzulaufen, bin ich zur Polizei gegangen. Im Prinzip ist die Arbeit ungefährlich, ich beschäftige mich mit den täglichen Streitereien, Krawallen und allen möglichen blöden Beschwerden. Natürlich ist das nicht das, wovon ich mal geträumt habe.«
»Und wovon hast du geträumt?«
Unerwartet ging die Küchentür auf, und auf der Schwelle stand ein völlig nasser Mischa-Pinguin. Das Wasser troff nur so von ihm herab. Er ging am Tisch vorbei zu seinem Futternapf und sah sein Herrchen fragend an. Der Napf war leer.
Viktor faßte tief in das Gefrierfach, brach von dem Klotz gefrorener Schollen drei Fische ab, schnitt sie in Stücke und legte sie in Mischas Napf.
Mischa legte seinen Kopf auf den gefrorenen Fisch und erstarrte in dieser Pose.
»Sieh mal«, sagte Sergej neugierig. »Er taut ihn auf, er
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