Picknick auf dem Eis (German Edition)
seinen Bart. Hinter seinem Rücken stand ein junger Bursche in einer Kutte, offensichtlich sein Gehilfe.
Viktor hätte am liebsten die Augen geschlossen und sie erst wieder geöffnet, wenn alles vorbei war. Aber in der Atmosphäre dieser Beerdigung war eine fast elektrische Spannung zu spüren, die Viktor wie mit Nadeln ins Gesicht und in die Hände stach und ihm eine unerwünschte angespannte Wachsamkeit aufzwang. Vor ihm spielte sich das Begräbnisritual ab. Auf der Stirn des Toten lag bereits ein Blatt mit einem aufgemalten Kreuz und einem altkirchenslawischen Spruch. Der Priester öffnete wieder seine Bibel an einer markierten Stelle und sang mit vorgetäuschtem Bariton sein düsteres Rezitativ. Alle neigten die Köpfe, nur der Pinguin stand regungslos da und starrte in das Grab.
Viktor blickte ihn verstohlen an.
›Wir sind auch Teil dieses Rituals‹, dachte er.
Nachdem zwei sauber gekleidete Leichenträger den Sarg an Stricken in das Grab hinuntergelassen hatten, kam Bewegung in die Trauergesellschaft. Man hörte Erde auf den Sargdeckel fallen.
Viktor kam es so vor, als ob die Leute ihn und Mischa erst jetzt wahrnahmen. Schiefe Blicke, manche voller Neugier, aber manche auch voller Trauer.
Ljoscha kam wieder.
»Die Verwandten laden dich zum Leichenschmaus ein«, sagte er. »Um sechs Uhr abends im Restaurant ›Moskwa‹. Und das soll ich dir von ihnen geben.«
Er überreichte Viktor einen Umschlag, den Viktor mechanisch in die Tasche steckte, ohne ein Wort zu sagen.
»Geht schon mal zum Auto, ich hole euch ein«, rief Ljoscha und ging zur Seite.
Viktor sah sich um und bemerkte einen kleinen älteren Mann, der alles mit einer Videokamera filmte. Er drehte ihm den Rücken zu und hockte sich vor Mischa hin.
»Was ist, wollen wir nach Hause?« Er sah mit einem traurigen Lächeln in Mischas gleichgültige Äuglein.
Dann fuhren sie nach Hause. Ebenfalls schweigend.
»Vergiß die Trauerfeier nicht!« sagte Ljoscha beim Abschied.
Viktor nickte, das Auto fuhr davon.
›Zum Teufel mit der Trauerfeier!‹ dachte Viktor, als er mit dem Pinguin auf dem Arm die Treppe hinaufstieg.
59
Am Abend, als sie Sonja schlafen gelegt hatten, saßen Viktor und Nina in der Küche, tranken Wein und unterhielten sich. Viktor erzählte Nina von dem ›Begräbnis mit Pinguin‹.
»Na und?« fragte sie kokett. »Wenn sie dafür tausend Dollar bezahlen, was regst du dich da auf?«
»Nein«, sagte Viktor nach einer Minute. »Ich rege mich nicht auf… Das ist viel Geld… Es ist einfach merkwürdig.«
»Vielleicht erhöhst du mir mein Gehalt, wenn der Pinguin jetzt auch noch Geld verdient?« sagte Nina lächelnd, aber völlig ernst. Dann fügte sie sanfter hinzu: »Ich gebe sowieso alles für euch aus. Gestern habe ich Sonja Stiefel gekauft…«
»Du liebe Güte, nenn das doch nicht Gehalt!« Viktor seufzte tief. »Ich gebe dir morgen Geld, und wenn du keins mehr hast, sag Bescheid…«
Er sah Nina unverwandt an und schüttelte den Kopf.
»Was ist?« fragte sie.
»Manchmal hast du so was Bäuerliches an dir…«
»Ich bin auf dem Land groß geworden«, bestätigte Nina und lächelte wieder.
»Na gut, gehen wir schlafen!« Viktor stand auf.
Am Morgen rüttelte Nina ihn wach. Viktor blinzelte sie verschlafen an.
»Was willst du?« fragte er, ohne jede Lust aufzustehen.
»Da liegt ein Paket auf dem Küchentisch«, sagte Nina aufgeregt. »Komm, sieh es dir an!«
Viktor stand auf, warf sich den Morgenmantel über. Unsicher betrat er die Küche.
Auf der Tischplatte lag tatsächlich eine prall gefüllte Tüte. Viktor seufzte. ›Wieder diese Spielchen‹, dachte er.
Auf dem Flur überprüfte er die Schlösser. Die Eingangstür war verschlossen.
In der Küche betastete er vorsichtig die Tüte. Seine Hand erfühlte eine Flasche, und etwas mutiger begann er die Tüte auszupacken.
»Nina!« rief er nach etwa fünf Minuten.
Nina kam herein und blieb verblüfft vor dem mit Delikatessen überhäuften Tisch stehen. Ein Teller mit Fisch in Aspik, eine mit Frischhaltefolie zugedeckte Platte mit der traditionellen Schinkenauswahl eines Restaurants, frische Tomaten, Koteletts, eine Flasche Smirnoff.
»Wo ist das denn her?« fragte sie.
Viktor verzog sein Gesicht und zeigte auf die Schüssel, wo in blauen Buchstaben ›Restaurant Moskwa‹ stand.
»Hier ist ein Zettel!« Nina beugte sich über die Flasche.
Da klebte tatsächlich ein zusammengefalteter Zettel am Flaschenhals. Viktor riß ihn ab.
»Alter, mach das nicht
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