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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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den Schultern, sah sie verständnislos an, bis plötzlich tatsächlich etwas seine Aufmerksamkeit fesselte. Irgendwas zwang ihn, ihr ins Gesicht zu sehen, auf ihr Lächeln zu achten.
    »Na?« drängte sie ihn lächelnd.
    »Die Zähne?« fragte er verwundert.
    Tatsächlich. Nina entblößte lächelnd schöne weiße Zähne, ohne jede gelbliche Verfärbung, als wolle sie Reklame für eine neue Zahnpasta machen.
    Viktor lächelte auch.
    »Na endlich hast du es bemerkt«, sagte Nina zufrieden und gab Viktor einen schmatzenden Kuß auf die Wange. »Ich mußte einen ganzen Monat warten«, sagte sie. »Da, wo keine Warteliste ist, wollten sie vierhundert Dollar, und so habe ich es für achtzig Dollar gekriegt.«
    »Nina, Nina!« lief Sonja mit einem Blatt Papier in der Hand in die Küche. »Guck mal! Ich habe Mischa gemalt!«
    Nina hockte sich hin, sah das Bild an und streichelte Sonja über das Haar.
    »Toll!« sagte sie. »Wir rahmen es ein und hängen es an die Wand!«
    »Wirklich?« freute sich Sonja.
    »Natürlich. Damit es alle ansehen können!«
    Viktor warf auch einen Blick auf die Zeichnung. Da war tatsächlich etwas Pinguinähnliches zu erkennen.
    »Prima!« Nina erhob sich. »Ich glaube, heute haben wir alle ein leckeres Mittagessen verdient! Macht die Küche frei!«
    Sonja brachte ihr Bild ins Wohnzimmer, und Viktor folgte ihr.
    ›Sie bestimmt hier schon ganz wie eine Hausfrau‹, dachte er, aber ohne jeden Ärger. Eher freute ihn der Gedanke.

57
     
    Draußen tröpfelte der erste Frühlingsregen. Der Schnee auf dem Hof war fast ganz geschmolzen, und nur unter den Sträuchern konnte man noch kleine, langsam schwindende Schneeklumpen entdecken. Aber das waren schon die dem Untergang geweihten Reste des Winters. Noch ein paar Tage, und frisches grünes Gras würde aus der erwärmten Erde sprießen.
    Viktor saß am Küchentisch mit dem Blick zum Fenster. Seinen Tee hatte er vergessen, und nun war er kalt. Er sah erwartungsvoll aus dem Fenster, ersehnte die Wärme des Frühlings. Obwohl der sein Leben kaum ändern konnte, ließ ihn eine verworrene und durch nichts gerechtfertigte Hoffnung lächeln, als er die ersten Sonnenstrahlen durch die dünnen Wolken brechen sah.
    Die Mappe mit den fertigen Texten der nächsten Nekrologe lag auf dem Tisch. Man könnte also den Chef anrufen und ihm sagen, es sei alles fertig, aber man könnte auch noch einen Tag warten, bis noch etwas mehr zusammenkam.
    ›Ich bin mal gespannt‹, dachte Viktor, vom Regen abgelenkt, ›was für eine Gruppe von Leuten für die nächsten Nekrologe vorgesehen ist… Kosmonauten? Unterwassertaucher?‹
    Er hatte sich daran gewöhnt, daß die Dossiers Personen nach Berufssparten oder des öffentlichen Interesses zusammenfaßten. Militär, Angestellte des Gesundheitsministeriums, Parlamentsabgeordnete… Und das schien ihm nicht mehr sonderbar. Längst war sein Notizheft vergessen, das er zu Beginn seiner Arbeit geführt hatte. Der Chef hatte ihm gesagt, daß er keinerlei Selbständigkeit bei der Auswahl der Persönlichkeiten mehr duldete. Seitdem hatte Viktor aufgehört, Zeitungen zu lesen und nach Namen von VIPs zu forschen. Jetzt arbeitete er ausschließlich an vorgefertigten Produkten, an detaillierten Dossiers. Das war zwar leichter, schien ihm aber auch verdächtiger. Und je länger er arbeitete, desto stärker wurde sein Verdacht, der aber bis jetzt noch nicht zu völliger Gewißheit ausgereift war, daß diese ganze Kreuzchen-Geschichte Teil einer kriminellen Operation war. Aber dieser Verdacht hatte keinerlei Einfluß auf sein tägliches Leben oder seine tägliche Arbeit. Und obwohl er jetzt die Gedanken daran nicht mehr völlig verdrängen konnte, fiel es ihm mit jedem Tag leichter, daran zu denken, umso mehr, da er seine Unfähigkeit, sein Leben zu ändern, ganz real einschätzte. War er einmal vor so einen Wagen gespannt, mußte er ihn auch ans Ziel ziehen. Also zog er ihn.
    Im Wohnzimmer klingelte das Telefon, und kurz danach sah Nina in die Küche.
    »Für dich, Witja!«
    Er ging ins Wohnzimmer und nahm den Hörer.
    »Hallo, Witja?« hörte er eine ihm unbekannte Männerstimme.
    »Ja.«
    »Hier ist Ljoscha, erinnerst du dich? Ich habe dich vom Friedhof nach Hause gefahren…«
    »Ach ja, hallo!«
    »Ich muß was sehr Wichtiges mit dir besprechen… Ich komme in zwanzig Minuten bei dir vorbei. Wenn du unten das Auto siehst, komm runter!«
    »Wer war das?« fragte Nina, als sie Viktor starr dastehen sah, ohne den Hörer auf die Gabel zu

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