Picknick auf dem Eis (German Edition)
legen.
»Ein Bekannter«, sagte er.
»Ich bringe Sonja Lesen bei«, lächelte sie. »Nicht wahr, Sonja?«
»Ja«, bestätigte das Mädchen, das mit einem Buch in der Hand auf dem Sofa saß.
Als Viktor unten vor dem Hauseingang ein Auto hörte, zog er sich an und lief nach unten.
»Komm rein!« bat ihn Ljoscha ins Innere.
Die Tür schlug zu. Im Auto war es kalt.
»Wie geht es dem lieben Tier?« fragte Ljoscha betont freundlich, während er über seinen Bart strich.
»Gut«, erwiderte Viktor.
»Es geht um folgendes«, fuhr Ljoscha fort, und sein Gesicht wurde ernst. »Ich wollte dich wegen des Tiers um einen Gefallen bitten… Es ist kein sehr lustiger Anlaß, aber… auf jeden Fall nicht umsonst.«
»Was für einen Gefallen?« fragte Viktor kühl.
»Der Chef meiner Freunde ist umgekommen. Morgen ist die Beerdigung. Eine sehr wichtige Beerdigung. Sarg mit Bronzegriffen für anderthalb Riesen. Ich habe ihnen mal von deinem Pinguin erzählt, und jetzt haben sie sich daran erinnert… Sie laden dich mit ihm zur Beerdigung ein.«
»Wozu?« wunderte sich Viktor und sah Ljoscha an.
»Wie soll ich dir das erklären…« Ljoscha biß sich nachdenklich auf die Unterlippe. » Es sollte eben Klasse haben… Sie denken, daß eine Beerdigung mit einem Pinguin stilvoll ist… Sozusagen allerhöchste Klasse. Er ist ja von Natur aus schon ein Trauertier in schwarz-weiß… Verstehst du?«
Viktor hörte Ljoscha aufmerksam zu, und obwohl er begriff, wovon die Rede war, schien ihm alles eher ein dummer Scherz zu sein. Er sah Ljoscha noch einmal aufmerksam in die Augen.
»Meinst du das ernst?« fragte er, obwohl Ljoschas Gesichtsausdruck mehr als ernst war.
»Ist vielleicht ein Riese als Miete für den Pinguin keine ernste Angelegenheit?« Ljoscha zuckte lächelnd mit den Schultern.
»Mir gefällt das überhaupt nicht«, gestand Viktor, nachdem er sich endgültig vergewissert hatte, daß Ljoscha keine Witze machte.
»Offen gesagt, hast du keine andere Wahl«, sagte der Bärtige. »Du kannst das nicht abschlagen. Die Freunde des Verstorbenen könnten beleidigt sein… Handle dir besser keinen Ärger ein. Morgen um zehn bin ich bei dir.«
Viktor stieg aus und blickte dem Auto nach, bis es hinter dem gegenüberliegenden Haus Richtung Chaussee verschwunden war.
Zu Hause schloß er sich im Bad ein. Bis das Wasser eingelaufen war, sah er in den Spiegel und betrachtete sich wie ein Foto, das er im Gedächtnis behalten wollte.
58
Am nächsten Tag fuhren sie in Ljoschas altem Mercedes auf den Baikowo-Friedhof. Ljoscha saß vorne, Viktor und Mischa auf dem hinteren Sitz. Sie fuhren schweigend dahin.
Beim Friedhofseingang hielt sie ein junger Mann im gefleckten Militärtarnanzug an, beugte sich zu Ljoscha und winkte ihn durch.
Grabsteine und Einfriedungen zogen am Auto vorbei. Viktor fühlte sich miserabel.
Vor ihnen tauchte ein erstarrtes Ehrengeleit von ausländischen Wagen auf, das die ganze Allee einnahm.
»Wir müssen ein bißchen zu Fuß gehen«, sagte Ljoscha sich umdrehend.
Er zog seinen Feldstecher aus dem Handschuhfach, hängte ihn sich um den Hals und stieg aus.
Der Himmel über dem Friedhof war wolkenlos. Die Sonne schien, und die Vögel zwitscherten unangebracht fröhlich. Viktor sah sich vorsichtig um.
Dann liefen sie langsam an den neuen teuren ausländischen Wagen vorbei an die Stelle, wo bereits eine Menge Leute stand und auf das Begräbnis wartete.
»Wozu brauchst du einen Feldstecher?« fragte Viktor. Ljoscha drehte sich um, er war ein wenig vorausgegangen.
»Jeder hat seine Arbeit. Meine ist es, für Ruhe und Sicherheit zu sorgen, daß niemand die Feier ver…« Ljoscha stockte plötzlich, dann fuhr er fort , »daß eben alles in Ordnung ist…«
Viktor nickte.
Sie gingen zu der Menge. Exakt und ordentlich angezogene Leute in Schwarz machten ihnen Platz und ließen sie nach vorne.
Direkt beim Grab neben dem offenen Sarg, in dem ein etwa vierzigjähriger, schon ergrauter Mann mit einer goldumrandeten Brille lag, blieben sie stehen. Auf dem eleganten Anzug lagen Blumensträuße, die seine ganze Brust bedeckten.
Viktor drehte sich nervös um und begriff sofort, daß Ljoscha sich davongemacht hatte. So standen er und der Pinguin zwischen völlig unbekannten, finster dreinschauenden Leuten. Anscheinend nahm niemand besondere Notiz von ihnen, weder von Viktor selbst, noch von dem Pinguin.
Am Kopfende des Sarges stand der Priester mit der aufgeschlagenen Bibel in der Hand und murmelte was in
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