Picknick auf dem Eis (German Edition)
Tisch hervor, wollte etwas schreiben, aber allein der Anblick des weißen Papiers lähmte seine Gedanken und seine Phantasie.
›Vielleicht sollte ich wieder Zeitungen lesen?‹ Er dachte an die Zeitungsmeldungen über Verbrechen. ›Da findet man Themen und Helden…‹
Er erinnerte sich, wie er die Helden seiner ersten Nekrologe herausgefischt hatte. Wo sie wohl jetzt sein mochten, diese ersten Helden?
Die viereckige dunkelgrüne Urne stand auf dem Fensterbrett, genau an der Stelle, auf die er sie am Tag ihrer Ankunft gestellt hatte. Von Zeit zu Zeit sah er sie an, erinnerte sich an Sergej, an Silvester auf seinem Grundstück und die Picknicks auf dem Eis mit dem Pinguin. Ein diffuses Gefühl von für immer verlorenem Glück machte ihn traurig. Er betrachtete diese dunkelgrüne künstliche Patina, diese seltsame ›Vase‹ und konnte einfach nicht glauben, daß vor ihm die neue Hülle von Sergejs sterblichen Überresten stand. Nein, dieser Gegenstand blieb für Viktor einfach ein merkwürdiger Gegenstand, als wäre es ein schweigender Fremdling aus einer anderen Welt. Seine Anwesenheit in der Küche irritierte Viktor, seine Gefühle waren aber nicht stark genug, um dagegen zu revoltieren. Das samtene Grün der Patina schien lebendig und die Urne trotz ihres Inhalts gleichsam beseelt zu sein. Viktor wollte es einfach nicht in den Kopf, daß diese Vase in irgendeinem Zusammenhang mit Sergej stand, mit seinem Leben oder seinem Tod. ›Nein‹, dachte er, ›wenn Sergej nicht mehr da ist, heißt das, er ist überhaupt nicht mehr da. Und schon gar nicht in dieser Vase.‹
Gegen Abend kamen Nina und Sonja zurück.
»Uns hat ein Onkel nach dir gefragt!« plapperte Sonja munter drauflos, während sie sich die Schuhe auszog.
»Was für ein Onkel?« wunderte sich Viktor.
»Ein junger dicker!« sagte Sonja.
Viktor sah Nina erstaunt an.
»Ein Bekannter von dir«, antwortete Nina auf seinen Blick. »Er wollte wissen, wie es dir jetzt geht, was du so machst…«
»Er hat uns zu einem Eis eingeladen!« fügte Sonja hinzu.
Zum Abendessen kochte Nina ein Huhn. Und dann beim Tee zog sie eine Zeitungsseite mit Anzeigen aus der Tasche.
»Hier, sieh mal!« Sie schob Viktor die Seite zu. »Ich glaube, das ist es! Kontscha Saspa, hundert Quadratmeter und nicht teuer!«
Viktor las die Anzeige: ein zweistöckiges Häuschen, vier Zimmer, hundert Quadratmeter, ein neu angelegter Garten, Preis: zwölftausend Dollar.«
»Ja«, Viktor nickte. »Da muß man anrufen!«
Aber gleich nach dem Essen rief Ilja Semjonowitsch an, und Viktor vergaß das Häuschen.
»Ihr Zögling läuft schon im Zimmer herum!« verkündete ihm der Tierarzt.
»Kann ich ihn holen?« fragte Viktor.
»Na, ich denke, so zehn Tage sollte er noch unter unserer Aufsicht bleiben…«
»Aber am 7. oder 8.Mai könnte ich ihn holen?«
»Ich glaube ja…«
Viktor atmete erleichtert auf, als er den Hörer auflegte. Er guckte auf den Balkon, draußen war es noch hell.
»Ich gehe zehn Minuten spazieren«, rief er vom Flur aus und zog sich seine Turnschuhe an.
72
Es vergingen wieder zwei Tage, und der ehemalige ›Tag des Sieges‹ rückte näher.
Viktor telefonierte wegen des Häuschens in Kontscha Saspa, und man verabredete sich für den nächsten Sonntag. Nina war davon überzeugt, daß das Häuschen ihnen gefallen würde.
›Bei so einem Wetter wird einem jedes beliebige Häuschen wie ein Paradies vorkommen‹, dachte Viktor, der mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon stand.
Die Sonne schien um die Mittagszeit mit voller Kraft. Ein leichter Wind wehte, aber auch er war so warm, als käme er direkt aus einem großen Föhngebiet.
›Nach dem neunten Mai rufe ich den Chef an‹, dachte Viktor. ›Er sollte mir Arbeit beschaffen, sonst ist es zu langweilig… Oder wir fahren alle drei für ein paar Wochen auf die Krim? Aber was ist dann mit dem Häuschen? Nein, wir müssen erst das Problem mit dem Häuschen lösen, und wenn wir es gekauft haben, wozu müssen wir dann noch auf die Krim?!‹
Gegen fünf Uhr kamen Nina und Sonja zurück.
»Was habt Ihr gemacht?« interessierte sich Viktor.
»Wir waren im Wasserpark«, antwortete Nina. »Wir sind Boot gefahren…«
»Ja!« fügte Sonja hinzu. »Die baden da schon!«
»Wir haben wieder deinen Freund getroffen«, erzählte Nina. »Der ist irgendwie komisch…«
»Was für einen Freund?« fragte Viktor.
»Na der uns zu einem Eis eingeladen hat und nach dir gefragt hat…«
Viktor überlegte.
»Und wie
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