Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
in eine Toilette. Von da aus konnte er die beiden auf der Bank gut beobachten.
    Vor dem Eingang der Toilette nahm er die Brille ab, um die beiden besser sehen zu können.
    Nina saß bei diesem Mann in dem sackartigen T-Shirt, sie unterhielten sich ruhig über etwas. Das heißt er erzählte was, sie hörte ihm aufmerksam zu und nickte von Zeit zu Zeit.
    Um nicht aufzufallen, ging Viktor in die Toilette, blieb eine Weile da und kehrte ins Café zurück.
    Er warf noch schnell einen Blick auf Nina: Jetzt redete sie und der Mann hörte zu.
    Viktor fühlte sich wie ein Idiot. Nicht nur daß er jedes Interesse an dieser Verfolgung verloren hatte, sondern sogar die Ursache schien ihm plötzlich gräßlich banal. Offensichtlich gefiel Nina dem jungen Mann, und er versuchte mit ihr zu flirten. Und da er sie dauernd mit Sonja sah, hatte er die Schlußfolgerung gezogen, daß sie verheiratet war, und versuchte jetzt die Lage auszukundschaften, um herauszufinden, wie erfolgreich er als Don Juan sein könnte. In so einer Situation war es völlig logisch, sich als alter Bekannter des Ehemannes auszugeben.
    ›Nun schön‹, dachte er, als er zur U-Bahn hochstieg. ›Ich wünsche dir Erfolg, du Fettsack!‹
    Als Nina mit Sonja zurückkam, war er bereits zu Hause.
    »Wie war es?« fragte Viktor.
    »Schön!« antwortete Nina und stellte den Teekessel auf den Herd. »So ein tolles Wetter! Zu dumm, daß du zu Hause sitzt!«
    »Übermorgen fahren wir sowieso aufs Land, dann erhole ich mich schon noch!« sagte Viktor.
    »Übermorgen?« fragte Nina nach.
    »Naja, das Häuschen ansehen…«
    »Ach ja!« Nina winkte mit der Hand ab. »Das habe ich ganz vergessen! Möchtest du Tee?«
    »Ja.« Viktor nickte. »Übrigens, hast du heute niemanden von meinen alten Bekannten getroffen?«
    »Doch, wieder denselben…«, antwortete Nina ruhig und zuckte mit den Schultern. »Kolja heißt er… Er hat von sich erzählt. Seit seiner Kindheit wollte er Schriftsteller werden, aber heute ist er Journalist… Er hat eine unglückliche Ehe hinter sich…«
    »Über mich wollte er nichts mehr erfahren?«
    »Nein, aber er hat darum gebeten, daß ich ihm ein Foto von dir gebe. Er hat gesagt, er wolle sehen, ob du dich in all diesen Jahren verändert hast. Dafür will er mich und Sonja zu italienischem Eis einladen…«
    »Ist der blöd oder was?« fragte Viktor laut, eher sich selber als jemand anderen. »Wozu braucht er mein Foto?«
    Nina zuckte wieder mit den Schultern.
    »Und, hast du dich mit ihm verabredet?« Viktor sah Nina unverwandt in die Augen.
    »Nein, habe ich nicht, aber ich habe gesagt, daß ich wahrscheinlich morgen wieder im Wasserpark bin…«
    »Na schön«, sagte Viktor kühl. »Ich gebe dir ein Foto.«
    Nina sah ihn verwundert an.
    »Was hast du?« fragte sie beleidigt. »Soll ich deinem Bekannten aus dem Weg gehen?«
    Ohne ein Wort zu erwidern, verließ Viktor die Küche, ging an Sonja vorbei, die auf dem Wohnzimmerboden mit dem Plastikhaus der Barbie spielte. Er ging ins Schlafzimmer, machte die Tür hinter sich zu, zog eine alte Tasche aus dem Schrank und schüttete Fotos auf den Teppich. Er wählte eins mit seiner früheren Freundin Nika aus. Nika schnitt er ab und legte die anderen Fotos zurück. Dann ging er mit dem Foto zum Spiegel und verglich sich mit dem Foto. Irgendwas hatte sich verändert, aber das war nicht richtig faßbar und mit Worten nicht zu erklären. Das Foto hatte vor vier Jahren ein Straßenfotograf auf dem Kreschtschatik gemacht.
    »Hier!« Er gab Nina in der Küche das abgeschnittene Foto.
    Sie sah ihn fragend an.
    »Nimm nur, nimm! Gib ihm das, wenn er schon darum bittet!« sagte er und versuchte, seiner Stimme etwas Wärme zu verleihen. »Und grüß ihn von mir!«
    Nina nahm das Foto und betrachtete es interessiert, dann brachte sie es auf den Flur, wo sie es in ihrer am Kleiderhaken hängenden Handtasche verstaute.
    74
     
    Am nächsten Morgen wartete Viktor, bis Nina und Sonja die Wohnung verlassen hatten, zog die schwarze Einkaufstasche aus dem Schlafzimmerschrank und nahm die noch immer in buntes Papier eingewickelte Pistole heraus. Die Kälte des schweren Metalls brannte auf seiner Haut. Viktor probierte, wie der geriffelte Griff in seine Hand paßte, und richtete die Pistole auf sein Ebenbild im Spiegel des Schlafzimmerschranks.
    Plötzlich erinnerte er sich, wie Mischa manchmal vor dem großen Spiegel gestanden und unbewegt auf sein Konterfei gestarrt hatte. Warum hatte er das getan? Vor Einsamkeit? Weil er

Weitere Kostenlose Bücher