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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sieht er aus?« fragte er nach einem Moment.
    »Er ist ziemlich dick, ungefähr dreißig Jahre alt.« Nina zuckte mit den Schultern. »Ein bißchen unscheinbar… Er hat sich zu uns gesetzt im Café beim U-Bahnausgang.«
    »Er hat gefragt, ob du mich liebst oder nicht!« erzählte Sonja. »Und ich hab ihm gesagt: schon, aber nicht sehr!«
    Viktor spürte eine wachsende Unruhe. Selbst unter seinen uralten Bekannten gab es keinen dicken Dreißigjährigen.
    »Und was hat er noch gefragt?«
    Nina senkte den Kopf, überlegte.
    »Er hat gefragt, ob dir deine Arbeit gefällt, ob du immer noch Erzählungen schreibst… Er hat gesagt, daß er sie früher sehr gemocht hat. Und er hat gefragt, ob ich ihm eins deiner Manuskripte geben könnte… Aber du solltest das nicht wissen. Er meinte, Schriftsteller haben es nicht gern, wenn man ihre Manuskripte liest…«
    »Und was hast du ihm geantwortet?« fragte Viktor und maß Nina mit einem kühlen Blick.
    »Sie hat gesagt, daß sie eins suchen wird!« antwortete Sonja an Ninas Stelle.
    »Nein«, sagte Nina. »Er hat gesagt, daß Kiew eine kleine Stadt ist und daß wir uns noch mal begegnen. Vom Manuskript habe ich gar nichts gesagt…«
    ›Wer könnte das sein?‹ überlegte Viktor. ›Und wieso fragt er Nina nach mir aus?‹
    Er zuckte mit den Schultern, da er keine Antwort auf seine Fragen wußte. Er ging auf den Balkon, lehnte sich über das Geländer und sah nach unten auf den Hof. Auf dem asphaltierten viereckigen Platz war zwischen den weißen Betonsäulen Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Daneben spielten Kinder. Links stand ein weiß angestrichener Müllcontainer, an dessen Seite alte Blechbehälter lagen. Dahinter, aber das war vom Balkon aus nicht mehr zu sehen, dahinter links war der große Platz mit den drei Taubenschlägen, wo er mit Mischa und Sonja im Winter spazierengegangen war. Alles war ihm wohlvertraut, es sah schön aus, dieses Frühlingspanorama von oben.
    Viktor dachte wieder an den neugierigen dicken jungen Mann.
    ›Vielleicht verfolgt er die beiden?‹ dachte er und sah wieder auf den Hof. ›Woher sollte er wissen, daß wir quasi eine Familie sind?‹
    Auf der Bank vor dem Hauseingang saßen zwei alte Leute, vor dem Nachbareingang auch. Am Haus gegenüber gingen ein paar junge Männer vorbei, die sich laut stritten.
    Nichts und niemand Verdächtiges.
    Viktor beruhigte sich und ging ins Zimmer zurück.
    73
     
    In der Nacht konnte er nicht schlafen. In der Dunkelheit des Schlafzimmers, neben sich die Wärme von Ninas Körper und ihr ruhiger Atem, dachte er über diesen neugierigen Menschen nach, der sich so für sein Leben interessierte. Wer war er? Woher? Weshalb? Und diese seltsame Frage an Sonja: ob er sie liebte oder nicht?
    Die Besorgnis drang allmählich in all seine Gedanken ein und nahm ihm die Ruhe und den Schlaf.
    ›Sicher verfolgt sie jemand‹, dachte er. ›Vielleicht auch mich… ich gehe bloß seltener aus dem Haus… .‹
    Viktor gab sich Mühe, Nina nicht zu wecken, kroch unter der Decke hervor, warf seinen Morgenmantel über und ging auf den Balkon.
    Eine angenehme Kühle schien vom sternenbesäten Himmel zu fallen. Die angespannte Stille der schlafenden Stadt klang ihm in den Ohren. Alle Fenster im Haus gegenüber waren dunkel. Der Hof unten sah aus wie ein verlassenes Bühnenbild.
    ›Nein‹, dachte Viktor. ›Wenn uns jemand ernsthaft verfolgte, stünde da unten ein Wagen mit abgeblendeten Scheinwerfern…‹
    Durch das Balkongitter sah er nach unten und entdeckte zwei Autos, die direkt vor dem Eingang parkten. Er mußte lächeln – bis zum Verfolgungswahn war es wirklich nicht mehr weit.
    Trotzdem konnte er bis zum Morgengrauen nicht mehr einschlafen.
    Am nächsten Morgen, als er sich mit starkem Kaffee in einen Zustand gereizter Wachheit versetzt hatte, nahm er ein Bad und rasierte sich.
    Nach dem Frühstück wollten Nina und Sonja in die Stadt.
    »Wohin geht es heute?« fragte Viktor Nina.
    »Wieder in den Wasserpark«, antwortete sie. »Da ist es so schön. Und der Rummelplatz hat schon auf.«
    Sowie Nina und Sonja das Haus verlassen hatten, guckte Viktor aus dem Küchenfenster, beobachtete den Hof, den Hauseingang, wartete, bis die beiden aus dem Haus kamen, guckte wieder auf den Hof und bemerkte, daß ein stämmiger mittelgroßer Mann den beiden langsam zur Haltestelle folgte. Nach etwa zwanzig Metern blieb er stehen und sah sich um. Ein Moskwitsch-Kombi hielt, er stieg ein, und das Auto fuhr los.
    Verblüfft zog sich Viktor

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