Picknick auf dem Eis (German Edition)
an und verließ schnell die Wohnung.
An der Autobushaltestelle war niemand, offensichtlich war der Bus gerade weg. Viktor hielt ein Auto an, und fünf Minuten später fuhr er bereits die Rolltreppe der U-Bahn hinunter.
Je mehr er über diese seltsame Verfolgung und Beschattung nachdachte, desto größer wurde seine Verwirrung. Dieser Mann in einem sackähnlichen T-Shirt und das Auto, in das keiner der ›Jungs‹ freiwillig und ohne Ekel einsteigen würde… Das alles brachte Viktor irgendwie nicht in Einklang mit seinem Gefühl von Gefahr und Besorgnis, das er seit dem zweiten Gespräch mit Nina über den neugierigen jungen dicken Mann empfand.
Aber wie dem auch sei, irgend jemand verfolgte Nina tatsächlich, um irgendwo in der Stadt ein nächstes ›zufälliges Treffen‹ zu arrangieren und ihr weitere Fragen über ihn, Viktor, zu stellen. Das heißt, jemand hatte ein echtes Interesse an ihm. Das einzige, was ihn bei dieser rätselhaften Geschichte beruhigte, war die Abwesenheit von den ›Jungs‹ in Trainingsanzügen und rasierten Nacken, die schicke ausländische Wagen fuhren.
Daß diese Jungs hier nicht auftauchten, bedeutete, daß Viktor nichts zu befürchten hatte. Aber das Rätsel blieb ein Rätsel und mußte gelöst werden.
Schon in der U-Bahn ertappte er sich bei dem Gedanken, daß ihm dieses Spiel gefiel. Genauer: Es gefiel ihm, daß er mit der Situation allein fertig werden konnte. Seine Selbstsicherheit kam wieder. Als wenn er sich noch einmal, für alle Fälle, seines ›Schutzes‹ vergewissert hätte, dessen Ursprung er sowieso nie verstanden hatte. Aber da Mischa-Nicht-Pinguin und Sergej Tscherkalin mit so viel Hochachtung davon gesprochen hatten, mußte er tatsächlich vorhanden sein und beschützte ihn vor irgend etwas.
Als er aus der U-Bahn stieg, wandte sich Viktor nach rechts zu den Ständen mit Hunderten von Sonnenbrillen. Links von einem Stand saß auf einem Klappstuhl ein etwa zwanzigjähriges Mädchen, ebenfalls mit einer Sonnenbrille.
Ohne lange nachzudenken, probierte Viktor eine altmodische Brille auf, dann eine ›made in Taiwan‹. Schließlich wählte er eine aus, bezahlte und setzte sie sich gleich auf die Nase.
Es roch nach Schaschlik. Ungeachtet des Werktags waren ziemlich viele Leute auf dem Markt des Wasserparks, und fast alle Tische der Straßencafés waren besetzt. Viktor fand einen freien Tisch, bestellte Kaffee und Kognak und beobachtete die Leute um sich herum, ohne seine Brille abzusetzen.
Nina und Sonja waren nicht zu sehen, dafür entdeckte er ein anderes bekanntes Gesicht, einen etwa vierzigjährigen Mann, den er ein paar Mal auf den ›seriösen‹ Beerdigungen gesehen hatte. Der saß an einem Tisch im benachbarten Café mit einer eleganten Dame in einem sehr kurzen Kleid mit Gürtel. Beide tranken Bier und unterhielten sich ruhig.
Viktor beobachtete sie einige Minuten, dann sah er sich weiter um.
Eine junge Kellnerin brachte ihm Kaffee und Kognak und bat ihn, gleich zu bezahlen. Als sie gegangen war, nippte Viktor an seinem Kognak, dann am Kaffee und vergaß für eine Zeitlang Nina und Sonja.
›In vier Tagen muß ich Mischa auf den Flughafen bringen‹, dachte er. ›Woher sie wohl das Spenderherz hatten?‹
Nachdem er eine halbe Stunde dagesessen hatte, schlenderte Viktor zur Bootsanlegestelle, dann kehrte er zur U-Bahnstation zurück und ging in die andere Hälfte des Wasserparks, in der ebenfalls massenhaft Sommercafés geöffnet hatten. In diesem Teil des Parks waren weniger Leute. Viktor kam auf die Brücke über dem Kanal. Dahinter lagen nur noch die Strände und die Sportplätze, er kehrte um, setzte sich an einen Tisch unweit der U-Bahnstation, bestellte eine Pepsi und sah sich wieder um.
»Sie müßten irgendwo hier sein«, flüsterte er vor sich hin und musterte die vielen Gesichter an den Tischen um sich herum.
Ein Mädchen, das auf dem Rasen neben der Allee spielte, auf der in bestimmten Abständen Holzbänke standen, erregte seine Aufmerksamkeit. Es spielte etwa hundertfünfzig Meter entfernt von ihm. Auf der nächsten Bank daneben saßen zwei Leute mit dem Rücken zu ihm, so daß sie nicht zu erkennen waren.
Ohne seine Pepsi auszutrinken, stand Viktor auf und lief auf dem Rasen zwischen zwei Alleen in Richtung des Mädchens. Schon nach zwanzig, dreißig Metern bestand kein Zweifel mehr, es war Sonja. Sie suchte was im Gras oder untersuchte irgendeine Pflanze.
Viktor blieb stehen, wandte sich wieder zum Café und ging auf dem Weg dorthin
Weitere Kostenlose Bücher