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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ihn zu nichts verpflichteten, war weit weg. Wer existierte noch im Schatten seines Lebens? Ljoscha, der Aufpasser bei ›seriösen‹ Beerdigungen. Der wird schon anrufen, daran zweifelte Viktor nicht. Aber auch Ljoscha schien Viktor kein schlechter Mensch zu sein. Auch er lebte sozusagen auf einem ›Umweg‹, hatte seine Nische gefunden und sie besetzt. In den heutigen Zeiten war es ein großer Erfolg, eine Nische zu finden, sich dort einzunisten und damit keinen Neid bei anderen zu erregen. Daß bloß, Gott behüte, niemand auf die Idee käme, daß diese Nische eigentlich zu groß für dich ist…
    Ungefähr gegen drei Uhr rief Ilja Semjonowitsch an.
    »Heute nacht haben wir ihn operiert«, sagte er. »Bisher läuft alles ausgezeichnet. Eine gewebeabstoßende Reaktion ist bisher nicht festzustellen.«
    Als Viktor diese Nachricht hörte, freute er sich.
    »Danke… wann kann ich ihn holen?«
    »Noch nicht so bald«, antwortete Ilja Semjonowitsch. »Der Rehabilitationsprozeß wird etwa sechs Wochen dauern… Aber ich halte Sie auf dem laufenden… Vielleicht geht es ja auch schneller… Wir werden sehen.«
    Nach dem Telefongespräch kochte sich Viktor einen Kaffee. Mit der Tasse in der Hand trat er auf den Balkon. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, er mußte die Augen zukneifen. Ein erstaunlich sanfter, aber kühler Wind strich ihm über die Wangen. Ein angenehmes Gefühl von Frische und einer noch kindlich zarten, frühen Sonnenwärme. Ein seltsames Gefühl. Wärme und Frische. Das ist es, was Leben erweckt, was es an die Oberfläche der Erde brachte.
    Der Kaffee war nicht stark, aber Viktor hatte auch keine Lust auf einen starken Kaffee. Ein starker Kaffee schien ihm für den Winter geeignet, war notwendig, um gegen den Winterschlaf anzukämpfen, gegen die kurzen Tage, gegen die Müdigkeit, die vom ständigen Warten auf die Wärme kam.
    ›Jetzt könnte ich dieses Antarktis-Komitee anrufen‹, dachte Viktor. ›Mir, der die Wärme liebt, sollte es hier gutgehen und Mischa dort in der Kälte.«
    Als er ins Wohnzimmer zurückkam, blieb er einen Augenblick vor Sonjas eingerahmtem Bild stehen: ›Familienportrait mit Pinguin‹.
    Er lächelte und seufzte, er war ein bißchen stolz auf sich und seine Entscheidung. Dabei fiel ihm auf, wieviel leichter es war, über das Schicksal eines anderen zu entscheiden als über sein eigenes. Umso mehr, als jeder Versuch, sein Schicksal zu verändern, sowieso unerwünschte Folgen hätte, die es nur noch mehr belasten würden. Es lief eh darauf hinaus, daß alle Veränderungen, ganz gleich ob positive oder negative, die Situation insgesamt verschlechterten.
    69
     
    Das Antarktis-Komitee hatte sein Büro im ersten Stock des Verwaltungsgebäudes der Flugzeugfabrik, in zwei aneinandergrenzenden Zimmern hinter einer Tür mit dem nostalgischen Schild PARTEIBÜRO.
    Viktor war gegen elf Uhr früh dahin gefahren, hatte aber seinen Besuch vorher angekündigt. Es schien ihm jedoch nicht ratsam, am Telefon von dem Pinguin zu reden, sie hätten ihn sicher für einen Scherzbold oder für einen Idioten gehalten. Deshalb hatte er sich als potenziellen Sponsor vorgestellt.
    Unten in der Flugzeugfabrik mußte er fünf Minuten warten, bis ihn ein magerer, etwa vierzigjähriger Mann in einem grauen Anzug abholte. Er war der Vorsitzende des Antarktis-Komitees, Valentin Iwanowitsch. Er war liebenswürdig und höflich, offensichtlich absolut notwendige Eigenschaften bei einer Arbeit, die mit der Suche nach Spendengeldern verbunden ist. Zu Anfang bot er Viktor einen Kaffee an, dann öffnete er die Tür zum benachbarten Zimmer.
    »Meistens schenken die Leute uns Lebensmittel, da, sehen Sie nur!« Er zeigte Viktor eine Reihe von Kisten, es sah fast wie ein Lager von Konservenbüchsen aus. »Wir nehmen alles, obwohl die Haltbarkeitsdaten längst abgelaufen sind. Trotzdem ist es gut, wenn was gespendet wird… Manchmal geben sie auch Geld. Die Südbank hat uns dreihundert Dollar gespendet. Natürlich brauchen wir vor allem Geld. Wir müssen Kerosin für das Flugzeug besorgen, die arbeitslosen Piloten bezahlen…«
    Viktor hörte zu und nickte.
    Als sie wieder im ersten Zimmer waren, zog Valentin Iwanowitsch eine Liste mit detaillierten Zahlen der bereits erhaltenen Produkte und Gelder hervor.
    Viktor blätterte sie durch und stieß auf eine riesige Menge chinesischer Fleischkonserven von einem der Sponsoren.
    »In diesem Zimmer ist längst nicht alles, was wir haben«, fügte Valentin Iwanowitsch hinzu. »Die

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