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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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ihm wie etwas, auf das er schon keinerlei Einfluß mehr hatte, und hielt Viktor von seiner verfrühten Nostalgie ab.
    Irgendwann rief Ljoscha an.
    »Alles ist okay!« sagte er. »In einigen Wochen können wir auf einer Beerdigung auf die Gesundheit des Pinguins trinken!«
    ›Ja‹, dachte Viktor und lächelte nach langer Zeit zum ersten Mal. »Machen wir unbedingt!«
    Nina kam von einem ihrer Besuche bei Sergejs Mama mit einer Benachrichtigung über ein Paket zurück.
    Sie aßen früh Abendbrot, es war erst gegen sechs.
    »Merkwürdig«, sagte Nina. »Angeblich ist es von Sergej, aber es ist nicht seine Schrift… Und zwanzig Dollar Zoll! Als ob es aus dem Ausland wäre.«
    »Aber es ist aus dem Ausland«, sagte Viktor düster und versuchte mit einem stumpfen Messer ein Stückchen seines Koteletts abzuschneiden.
    »Es ist zäh!« klagte Sonja.
    »Komm, ich schneide es dir klein!« Viktor beugte sich über Sonjas Teller und versuchte, ihr Kotelett zu zersäbeln.
    »Die Messer müßten geschärft werden«, sagte Nina.
    »Mach ich«, versprach Viktor.
    Danach tranken sie Tee.
    »Kommst du morgen mit mir auf die Post?« fragte Nina. »Das Paket könnte schwer sein.«
    »Natürlich.«
    An diesem Abend schlief Sonja wieder vor dem Fernseher ein, und sie legten sie auf das Sofa, deckten sie zu, stellten den Fernseher leiser und sahen einen Thriller mit Mel Gibson bis zum blutigen Ende, dann gingen sie schlafen.
    Am nächsten Morgen erhielten sie für zwanzig Dollar das Paket, eine ziemlich schwere Kiste mit der Aufschrift: ›Vorsicht! Zerbrechlich!‹
    »Das ist nicht seine Schrift!« sagte Nina völlig überzeugt, als sie die Adresse auf dem Paket sah.
    Als Viktor das Paket in die Hand nahm, hörte er im Innern etwas klirren, schaute noch einmal auf die Adresse und schüttelte den Kopf.
    »Anscheinend ist was kaputtgegangen…«, sagte er.
    »Dann haben wir völlig umsonst zwanzig Dollar bezahlt!« murrte Nina unzufrieden. »Na gut, zuerst gucken wir zu Hause nach. Was hätte es für einen Sinn, ihr das Paket zu bringen? Wenn was kaputt ist, ärgert sie sich nur…«
    Zu Hause lobten sie Sonjas neue Zeichnungen und begannen, auf dem Küchentisch das Paket auszupacken. Sie fanden eine seltsame viereckige Vase mit einem zugeklebten Deckel.
    »Kupfer?« fragte Viktor sich selber beim Betrachten der Vase.
    »Da drin ist irgendwas«, sagte Nina. »Oh, da ist ein Brief!«
    Sie zog ein gefaltetes Blatt Papier heraus.
    In der darauf folgenden Pause beobachtete Viktor Nina gespannt. Die las den Brief. Ihre Lippen bewegten sich. Ihr Gesicht wurde kalkweiß. Ihre Hände begannen zu zittern.
    Sie gab Viktor schweigend den Brief.
    »Sehr geehrte Mutter von Sergej!
    Die Polizeiabteilung von Krasnopresnensk hat mich beauftragt, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Sicher weil ich auch aus der Ukraine hierher gekommen bin, aus Donezk. Und auch, weil Sergej und ich Freunde waren. Er war ein wunderbarer Mensch. Ich weiß nicht, was ich Ihnen noch schreiben soll. Leider ist Sergej in Erfüllung seiner Pflicht umgekommen. Das ist nicht in Moskau passiert. Er wollte nicht mitfahren, aber Befehl ist Befehl. Die Finanzabteilung der Stadtverwaltung stellte uns vor eine schwierige Wahl: sie könnten entweder die Beerdigungskosten auf einem ziemlich weit entfernten Friedhof in Orechowo-Sujewo übernehmen oder eine Einäscherung. Wir, die Jungs, die aus der Ukraine sind, haben beschlossen, daß das Krematorium besser ist, wenigstens wird er in seiner Heimat begraben. Unser allerherzlichstes Beileid.
    Nikolaj Prochorenko und die Krasnopresnensker Polizeiabteilung.«
    Als er den Brief zu Ende gelesen hatte, starrte Viktor wieder auf die viereckige Vase. Nina war auf den Flur gegangen, er hörte, daß sie weinte.
    Viktor nahm die Vase vorsichtig in die Hand und schüttelte sie leicht. Innen war ein merkwürdig dumpfes Geräusch zu hören. Er stellte die Vase auf den Tisch.
    ›Ein trauriges Klappern‹, dachte er düster. ›Das ist alles, was von Sergej übriggeblieben ist.‹
    Im Bad rauschte es, und nach einem kleinen Augenblick kam Nina mit verweintem Gesicht und geröteten Augen in die Küche zurück.
    »Ich werde Swetlana Fjodorowna nichts sagen… Das würde sie umbringen…«, erklärte sie entschlossen. »Wir beerdigen ihn allein!«
    Viktor nickte.
    71
     
    Es vergingen einige Tage. Die träge sich dahinziehende Zeit bedrückte Viktor, und er saß trotz des schönen sonnigen Wetters zu Hause. Einige Male zog er die Schreibmaschine unter dem

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