Picknick auf dem Eis (German Edition)
Geräte und warme Kleidung lagern wir gesondert. Wir haben auch noch zwei Fässer Sonnenblumenöl.«
»Und wann werden Sie fliegen?« fragte Viktor.
»Wir werden am neunten Mai fliegen, am ehemaligen ›Tag des Sieges‹«, erklärte der Vorsitzende des Komitees. »Wir fliegen mit Zwischenlandungen und müssen die Flughäfen vorher informieren. Entschuldigen Sie, daß ich so direkt frage, aber wie wollen Sie uns helfen? Mit Lebensmitteln oder mit Devisen?«
»Mit Devisen«, antwortete Viktor. »Unter einer Bedingung…«
»Ja, bitte!« Valentin Iwanowitsch sah den potenziellen Sponsor durchdringend an.
»Vor einem Jahr habe ich im Zoo einen Pinguin geholt, als die dort kein Geld mehr für das Futter der Tiere hatten. Und jetzt würde ich ihn gern wieder zurück in seine Heimat bringen, in seine normalen Lebensbedingungen… Das ist es, was ich von Ihnen möchte…«
In den hellblauen Augen des Vorsitzenden blitzte ein Funke von Ironie auf. Aber sein Gesicht blieb ebenso ernst wie Viktors. Sie sahen einander an, als wenn sie das Spiel ›Wer durchschaut wen?‹ spielten. Nach kurzem blickte der Vorsitzende nachdenklich auf die Tischplatte vor sich.
»Nun, und wieviel würden Sie für diesen Passagier ausgeben?« fragte er, ohne den Blick zu heben.
»Ein paar tausend Dollar«, sagte Viktor.
Er hatte keine Lust zu handeln. Bis jetzt war alles gut gelaufen und selbst der Funke von Ironie oder Unglauben in den Augen des Vorsitzenden hatte keinen Einfluß auf den geschäftlichen Verlauf des Gesprächs.
Valentin Iwanowitsch schwieg eine Minute nachdenklich.
»Das heißt zweitausend oder so?« fragte er und sah Viktor in die Augen.
Viktor nickte.
»In Ordnung«, sagte der Vorsitzende. »Wir nehmen Ihren Passagier mit… Darf ich Sie bitten, das Geld in den nächsten Tagen vorbeizubringen? Den Pinguin am Tag unseres Abflugs morgens gegen neun. Wir sollten um zwölf Uhr fliegen.«
Als Viktor nach einem warmen sonnigen Heimweg zu Hause ankam, fühlte er sich merkwürdigerweise ein wenig beunruhigt. Die Leichtigkeit, mit der er über Mischas Schicksal entschieden hatte, zwang ihn jetzt, über sein eigenes Schicksal nachzudenken. Am neunten Mai würde er wieder allein sein. Nina und Sonja würden hier wohnen, aber ihre Anwesenheit war unabhängig von ihm, sozusagen autonom, und würde ihn Mischa nicht vergessen lassen.
Er erwartete von Nina oder Sonja keine echte Liebe, so wie er für sie keine empfand. War das alles nur ein sich in die Länge ziehendes Spiel à la famille? Vielleicht. Aber anscheinend gefiel das Nina. Das Kind verstand sowieso nichts. Die Anwesenheit von Erwachsenen in seinem Leben war etwas Selbstverständliches. Seine Eltern hatte es nie wieder erwähnt. Vielleicht sollte er versuchen, sowohl Nina als auch Sonja wirklich zu lieben? Damit sie ihn auch lieben könnten und ihr seltsames Verhältnis sich in eine echte Familiengemeinschaft verwandeln würde?
70
Der April näherte sich seinem Ende. Die Stadt war in zartes Grün gehüllt, bald würden die Kastanien blühen. Es schien, als verliefe Viktors Leben im Zeitlupentempo. Beim letzten Mal hatte der Bote die Mappe mit den fertigen Nekrologen mitgenommen, ohne etwas anderes dafür dazulassen. Viktor rief den Chef an, und Igor Lwowitsch erklärte ihm, daß er vorläufig keine Arbeit für ihn habe. Diese plötzliche Pause überraschte Viktor. Das Leben war aus dem Tritt geraten. Alles andere davor war nach Plan gegangen: die zweitausend Dollar hatte er Valentin Iwanowitsch längst gebracht, und Ilja Semjonowitsch rief jeden Tag an und berichtete über Mischas Befinden. Und nun plötzlich diese Pause.
Nina redete wieder über den Kauf eines Häuschens und brachte Zeitungen mit Anzeigen nach Hause. Viktor las geduldig alle angestrichenen Stellen durch. Ihm schien, sie müßten so schnell wie möglich ein Häuschen mit Garten kaufen, damit sie es im Sommer alle besser hätten. Aber gleichzeitig empfand er eine lähmende Passivität.
›Nach dem neunten Mai wird alles besser‹, dachte er und schob sein merkwürdiges Befinden auf die fehlende Arbeit und das Warten auf Mischas Abflug.
Zu Viktors Freude fragte Sonja immer seltener nach dem Pinguin. Jetzt war er fast davon überzeugt, daß Mischas Verschwinden aus seinem Leben kein Drama werden würde. In Wirklichkeit hatte er am meisten Angst um sich selbst. Er tat sich leid. Er konnte sich sehr gut vorstellen, welche Sehnsucht ihn bald überfallen würde.
Aber die gefällte Entscheidung schien
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