Picknick mit Bären
halben Kilometer hoch, und dahinter Zehntausende Quadratkilometer noch mehr Eis, lediglich durchbrochen von den Gipfeln der höchsten Berge. Wir vergessen meist, daß wir uns heute immer noch in einer Eiszeit befinden, bloß erleben wir sie hautnah nur während eines Teils des Jahres. Schnee, Eis und Kälte sind keine typischen Merkmale der Erde. Langfristig gesehen, ist die Antarktis eigentlich ein Dschungel. (Er hat nur gerade eine leichte Erkältung.) Auf dem Höhepunkt der Eiszeit, vor 20.000 Jahren, lag ein Drittel der Erde unter Eis, heute sind es immer noch zehn Prozent. In den letzten zwei Millionen Jahren hat es bestimmt ein Dutzend Eiszeiten gegeben, von denen jede etwa 100.000 Jahre dauerte. Die jüngste Intrusion, die Wisconsin-Eis-decke, erstreckte sich von den Polarregionen über weite Teile Europas und Nordamerikas, erreichte eine Dicke von bis zu 3.000 Meter und rückte mit einer Geschwindigkeit von 120 Meter pro Jahr vor. Der Meeresspiegel sank um 140 Meter, da die Decke alle freien Wasserreservoirs der Erde in sich aufsaugte. Dann, vor 10.000 Jahren, fing die Decke an zu schmelzen und sich zurückzuziehen, nicht über Nacht, aber allmählich. Man hat bis heute keine Erklärung dafür. Sie hinterließ eine völlig umgestaltete Landschaft, schüttete Long Island, Cape Cod, Nantucket und den größten Teil von Martha’s Vineyard auf, wo sich vorher nur Wasser befunden hatte, und hob neben vielen anderen auch die Becken der Great Lakes, der Hudson Bay und den kleinen Sunfish Pond aus. Jeder Quadratmeter der Landschaft nördlich von hier hat Narben, Kerben und andere Spuren der letzten Vereisung davongetragen – verstreute Felsbrocken, die sogenannten Findlinge, Moränen, Geschiebehügel, Bergseen, Kare. Ich betrat eine neue Welt.
Über die vielen Eiszeiten der Erde weiß man nur sehr wenig - warum sie kamen, warum sie aufhörten, ob und wann sie wiederkommen. Eine interessante Theorie, wenn man an unsere gegenwärtige Sorge um die Erderwärmung denkt, besagt, daß die Eiszeiten nicht durch sinkende, sondern durch steigende Temperaturen entstanden sind. Warmes Wetter führe zu stärkerem Niederschlag, dieser wiederum zu einer dichteren Wolkendecke, was eine geringere Schneeschmelze in höheren Regionen zur Folge habe. Es braucht nicht allzu viel schlechtes Wetter, um eine Eiszeit auszulösen. Gwen Schultz bemerkt dazu in ihrem Buch Ice Age Lost: »Nicht die Schneemenge allein verursacht Eisdecken, sondern die Tatsache, daß der Schnee, und sei es noch so wenig, liegenbleibt.« Was den Niederschlag betrifft, führt sie weiter aus, sei die Antarktis »das trockenste Gebiet der Erde, trockener als jede Wüste«.
Und noch ein weiterer interessanter Gedanke: Sollten sich heute wieder neue Gletscher bilden, dann könnten sie sich aus erheblich mehr Wasserreservoirs speisen als früher – Hudson Bay, die Great Lakes, die 100.000 kleinen Seen in Kanada standen für die letzten Eisdecken noch nicht zur Verfügung – und würden viel schneller wachsen. Wie würden wir uns verhalten, sollten in naher Zukunft tatsächlich neue Gletscher vorrücken? Würden wir sie mit TNT oder gar Atomsprengköpfen beschießen? Das ist durchaus wahrscheinlich. Dabei sollten wir aber eines bedenken: 1964 wurde Alaska durch das schwerste, jemals in Nordamerika registrierte Erdbeben erschüttert, von 200.000 Megatonnen geballter Energie, was der zerstörerischen Kraft von 2.000 Atombomben entspricht. In Texas, 5.000 Kilometer entfernt, schwappte dabei das Wasser über die Ränder der Swimmingpools, in Anchorage sackte eine Straße sechs Meter tief ab. Das Erdbeben verwüstete 60.000 Quadratkilometer Wildnis, der größte Teil davon vergletschert. Und welche Auswirkungen hatte das Erdbeben auf Alaskas Gletscher? Nicht die geringsten.
Gleich hinter dem See befand sich ein Nebenwanderweg, der Garvey Springs Trail, der steil bergab, zu einer alten, asphaltierten Straße am Fluß entlangführte, direkt unterhalb von Tocks Island, und der mich in einem weiten Bogen zurück zu dem Informationszentrum bringen würde, wo ich mein Auto abgestellt hatte. Das waren sechseinhalb Kilometer, und es wurde langsam warm, aber die Straße war schattig und kaum befahren, drei Autos in einer Stunde, und so glich meine Wanderung einem gemütlichen Spaziergang, mit friedlichen Ausblicken über üppige Wiesen auf den Fluß.
Nach amerikanischen Maßstäben ist der Delaware kein sonderlich beeindruckender Wasserlauf, aber ein Umstand ist
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