Picknick mit Bären
dieses Waldgebietes ist heute verschwunden, aber was geblieben ist, ist eindrucksvoll genug. Der Chattahoochee gehört zu einem 1,6 Millionen Hektar – 16.000 Quadratkilometer – großen Staatsforst, der sich bis zu den Great Smoky Mountains und über vier Bundesstaaten erstreckt. Auf einer Karte der Vereinigten Staaten stellt er nur einen unbedeutenden grünen Fleck dar, erst zu Fuß erschließen sich seine kolossalen Ausmaße. In vier Tagen würden Katz und ich den nächsten Highway überqueren und erst in einer Woche wieder in eine Stadt kommen.
Und so wanderten wir los. Wir wanderten Berge hinauf, durch verlassene Senken, entlang einsamer Gebirgskämme, mit Aussicht auf noch mehr Gebirgskämme, über grasgrüne, kahle Bergkuppen, steinige, sich windende, nervenaufreibende Abstiege hinunter und Kilometer um Kilometer durch dunklen, tiefen, einsamen Wald, auf dem knapp einen halben Meter breiten Wanderpfad, der durch weiße, rechteckige Markierungen angezeigt wurde – ein Balken, fünf Zentimeter hoch, 15 Zentimeter lang –, die in regelmäßigen Abständen in die graue Borke der Bäume geschnitzt waren. Wir wanderten und wanderten.
Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der entwickelten Welt ist Amerika immer noch zu einem erstaunlichen Teil ein Land der Wälder. Ein Drittel der Landfläche des nordamerikanischen Kontinents, Alaska ausgenommen, ist mit Bäumen bewachsen, 295 Millionen Hektar insgesamt. Allein Maine hat über vier Millionen Hektar unbewohntes Land. Das sind mehr als 40.000 Quadratkilometer, ein Gebiet, das um einiges größer ist als Belgien, ohne einen einzigen Bewohner. Nur zwei Prozent der Vereinigten Staaten werden als baulich erschlossen eingestuft.
Etwa 97 Millionen Hektar der amerikanischen Wälder gehören dem Staat. Der größte Anteil davon, 77 Millionen Hektar, verteilt auf 155 Parzellen, wird vom U.S. National Forest Service unterhalten und steht je nachdem unter Verwaltung der National Forests, der National Grasslands oder der National Recreation Areas. Das hört sich an, als sei es unberührtes Land, ganz im Sinne der Ökologie, aber in Wahrheit sind weite Teile des Waldgebietes des Forest Service zur Mischnutzung ausgewiesen, was großzügig interpretiert wird und alle möglichen Aktivitäten erlaubt: Bergbau; Öl- und Gasgewinnung; Wintersport (137 Orte); Bau von Eigentumsanlagen; Schneemobil- und Geländewagenrennen und natürlich jede Menge Holzwirtschaft – lauter Dinge, die mit der Ruhe des Waldes eigentlich unvereinbar sind.
Der Forest Service ist wirklich eine höchst erstaunliche Institution. Viele Menschen sehen das Wort Forest im Namen und vermuten, dahinter verberge sich die Sorge um Bäume. Tatsächlich verhält es sich anders, obwohl die Pflege des Waldes der ursprüngliche Gedanke war. Vor 100 Jahren, als die Abholzung amerikanischer Wälder alarmierende Ausmaße annahm, wurde der Service als eine Art »Waldbank« eingerichtet, als dauerhaftes Depot für amerikanisches Nutzholz. Der Auftrag lautete: Nutzung und Schonung dieser Ressourcen für das Land. An Nationalparks war dabei nicht gedacht. Privatfirmen sollten die Genehmigung bekommen, Erze abzubauen und Holzwirtschaft zu betreiben, wurden aber angehalten, dies nur in begrenztem Umfang und auf intelligente und nachhaltige Weise zu tun.
Womit sich der Forest Service hauptsächlich beschäftigt, ist der Straßenbau. Das ist kein Witz! Durch die amerikanischen Staatsforste führen Straßen in einer Gesamtlänge von 608.315 Kilometern. Die Zahl sagt vielleicht nicht viel aus, aber man kann es auch so sehen: Das Netz ist achtmal so groß wie das gesamte amerikanische System der Interstate Highways. Es ist das größte Straßennetz der Welt, das in der Hand eines einzelnen Betreibers hegt. Der Forest Service beschäftigt im Vergleich zu allen anderen staatlichen Institutionen auf der Erde die zweitgrößte Anzahl an Straßenbauingenieuren. Die Aussage, daß diese Leute gerne Straßen bauen, hieße, das Maß ihrer Hingabe auf charmante Weise untertreiben. Zeigt man ihnen einen idyllischen Wald, ganz egal wo, werden sie ihn ausgiebig und nachdenklich in Augenschein nehmen und zum Schluß sagen: »Hier könnte man gut eine Straße bauen.« Es ist erklärtes Ziel des U.S. Forest Service, bis Mitte des nächsten Jahrhunderts weitere 933.400 Straßenkilometer durch Waldgebiet anzulegen.
Der Grund warum der Forest Service diese Straßen baut, abgesehen von der tiefen Befriedigung, die es den Männern bereitet,
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