Picknick mit Bären
sah mich um. An einem Stein war eine Bronzeplatte befestigt, die den Ausgangspunkt des Appalachian Trail anzeigte, und unweit davon war auf einem Pfahl ein Holzkasten montiert, in dem ein an einem Bindfaden befestigter Kugelschreiber lag, dazu ein Notizblock, dessen Seiten sich von der Feuchtigkeit wellten. Der Notizblock war das Gipfelbuch, das Trail Register – eigentlich hatte ich ein ledergebundenes, irgendwie prächtiges Buch erwartet –, und es war vollgekritzelt mit hoffnungsfrohen Einträgen, fast alleinjugendlicher Handschrift. Seit dem ersten Januar gab es etwa 25 Einträge, allein acht am heutigen Tag. Die meisten waren in Eile hingeworfen und klangen munter – »2. März. Da sind wir! Ganz schön kalt hier! Man sieht sich auf dem Katahdin. Jamie und Spud.« Ungefähr ein Drittel war länger und besinnlicher, versehen mit Botschaften wie dieser: »Da bin ich endlich auf dem Springer. Ich weiß nicht, was mir die kommenden Wochen noch bescheren werden, aber mein Glaube an Gott ist stark, und ich weiß die Liebe und Hilfe meiner Familie hinter mir. Mom und Pookie, diese Wanderung mach ich für euch«, und so weiter.
Ich wartete eine Dreiviertelstunde lang auf Katz, dann machte ich mich auf die Suche nach ihm. Das Licht schwand bereits, und in die Luft mischte sich abendliche Kühle. Ich lief und lief den Hang hinunter, durch die endlosen Waldungen, betrat wieder Boden, den ich für immer hinter mich gebracht zu haben glaubte, Ich rief mehrmals seinen Namen und lauschte, nichts. Ich ging weiter, über gestürzte Bäume, über die ich bereits Stunden zuvor geklettert war, Abhänge hinunter, an die ich mich kaum mehr erinnerte. Den Weg hätte meine Oma auch noch geschafft, dachte ich immer bei mir. Schließlich kam ich an eine Biegung, und da war er, torkelte mir entgegen, mit zerzaustem Haar, nur einem Handschuh, und kurz vor einem hysterischen Anfall, wie ich ihn noch nie bei einem erwachsenen Menschen erlebt hatte.
Es war nicht einfach, ihm die Geschichte als zusammenhängendes Ganzes zu entlocken, weil er so zornig war, aber aus dem, was er erzählte, konnte ich entnehmen, daß er in einem Anfall viele Sachen aus seinem Rucksack einen Abhang hinuntergeworfen hatte. Alles, was außen am Sack gebaumelt hatte, war weg.
»Was hast du denn über Bord geworfen?« fragte ich ihn, ohne meine Besorgnis allzu deutlich durchklingen zu lassen.
»Das schwere Zeug. Was sonst. Die Salami, den Reis, den braunen Zucker, das Büchsenfleisch, was weiß ich nicht alles. Eine ganze Menge. Scheißkram.« Katz versteifte sich richtig vor lauter Mißmut. Er führte sich auf, als hätte der Appalachian Trail ihn schmählich verraten. Ich vermute, er entsprach nicht dem, was er erwartet hatte.
Ich entdeckte seinen zweiten Handschuh etwa 30 Meter hinter ihm auf dem Boden und ging hin, um ihn aufzuheben.
»Na dann los«, sagte ich, »es ist sowieso nicht mehr weit.«
»Wie weit?«
»Ungefähr anderthalb Kilometer.«
»Scheiße«, sagte er verbittert.
»Gib mir deinen Rucksack.« Ich schnallte ihn mir auf den Rücken. Er war nicht gerade leer, aber er war entschieden leichter als vorher. Weiß der Himmel, was er alles rausgeworfen hatte.
Wir stapften in der sich ausbreitenden Dämmerung den Berg hinauf bis zum Gipfel. Ein paar hundert Meter unterhalb des Gipfels befanden sich auf einer großen freien Rasenfläche, vor einem finsteren Wald ein Zeltplatz und eine Schutzhütte aus Holz. Es waren viele Leute da, mehr als ich zu Saisonbeginn erwartet hatte. Die Schutzhütte, eher ein Unterstand aus drei Seitenwänden und einem Schrägdach, war schon überfüllt, und auf dem Platz standen verstreut etwa zwölf Zelte. Überall hörte man das Zischen der kleinen Campingkocher, Rauchfäden stiegen auf, es roch nach Essen, und dazwischen bewegten sich junge, gelenkige Menschen.
Ich suchte uns eine Stelle am Rand der Lichtung, etwas abseits, fast unter den Bäumen.
»Ich weiß nicht, wie man ein Zelt aufschlägt«, sagte Katz in gereiztem Tonfall.
»Dann schlage ich es für dich auf.« Du weiches, schwabbliges Riesenbaby Plötzlich war ich nur noch müde.
Katz saß auf einem Baumstamm und sah zu, wie ich sein Zelt aufstellte. Als ich fertig war, schob er seine Iso-Matte und den Schlafsack hinein und kroch dann selbst hinterher. Ich machte mich an mein eigenes Zelt und baute mir umständlich mein kleines Nest. Nach getaner Arbeit richtete ich mich auf und stellte fest, daß sich im Nachbarzelt nichts mehr rührte.
»Bist du
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