Picknick mit Bären
habe ich auch zu Hause gelassen.«
Seine Augen weiteten sich. »Das kann nicht dein Ernst sein.«
Ich nickte reumütig.
»Alle?«
Ich nickte noch mal.
Er stöhnte schwer. Das war ein harter Schlag, eine ernste Herausforderung seines versprochenen Gleichmuts – wenn nicht« mehr. Wir beschlossen eine Inventur vorzunehmen. Wir räumten eine kleine Fläche auf dem Zeltboden frei und warfen unsere Verpflegung zusammen. Sie war erschreckend dürftig – Nudeln, eine Packung Reis, Rosinen, Kaffee, Salz, diverse Schokoriegel und Klopapier. Das war alles.
Wir frühstückten ein Snickers, tranken unseren Kaffee aus, bauten unser Lager ab, hievten unsere Rucksäcke auf den Rücken – nicht ohne dabei zur Seite zu stolpern – und machten uns wieder auf den Weg.
»Ich fasse es nicht – da läßt der Kerl die Little Debbies zu Hause!« sagte Katz und war bereits nach wenigen Metern wieder zurückgefallen.
4. Kapitel
Der Wald ist nicht wie andere natürliche Räume. Zunächst einmal ist er kubisch, das heißt, die Bäume umgeben uns, überragen uns, bedrängen uns von allen Seiten. Der Wald versperrt uns die Sicht, er läßt uns orientierungslos, und er verwirrt uns. Er macht uns klein und verlegen und verletzlich, wie ein Kind, das sich in einer Menschenmenge, zwischen lauter fremden Beinen, verirrt hat. In der Wüste, in der Steppe wissen wir, daß wir uns in einem großen, offenen Raum befinden. Im Wald spüren wir diesen Raum nur. Der Wald ist ein riesiges, konturloses Nirgendwo. Und der Wald lebt.
Der Wald ist gespenstisch. Abgesehen davon, daß wilde Tiere in ihm hausen können und bewaffnete, genetisch gesehen unvollkommene Zweibeiner, die Zeke oder Festus heißen, ist ihm etwas Finsteres eigen, etwas Unbeschreibliches, das uns mit jedem Schritt eine Atmosphäre der Bedrohung spüren läßt und uns überdeutlich zu verstehen gibt, daß wir uns nicht in unserem Element befinden und besser die Ohren spitzen. Obwohl wir uns einreden, daß es absurd ist, werden wir das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Wir sagen uns: Ruhig bleiben, es ist schließlich nur ein Wald, meine Güte, aber in Wirklichkeit sind wir fickriger als ein Bankräuber mit gezogener Pistole. Bei jedem plötzlichen Geräusch – dem krachenden Lärm eines herabfallenden Astes, dem Vorbeihuschen eines aufgescheuchten Rehs – geraten wir ins Rotieren und schicken ein Stoßgebet zum Himmel, welcher Mechanismus im Körper auch immer für die Adrenalinproduktion verantwortlich ist, in diesem Moment funktioniert er wie geschmiert, noch nie war er so versessen darauf, einen heißen Schub dieses Saftes auszustoßen. Selbst im Schlaf sind wir angespannt wie ein Flitzbogen.
In Amerika hat der Wald die Menschen 300 Jahre lang eingeschüchtert. Der unsägliche Tugendbold und Langweiler Henry David Thoreau fand alle Natur prächtig, solange eine Stadt in der Nähe war, wo er Kuchen und Gerstensaft kaufen konnte, aber als er 1846 bei einem Ausflug auf den Katahdin einmal echte Wildnis erlebte, war es bis ins Mark erschüttert. Das war nicht die zahme Welt der verwunschenen Obstgärten im kleinen Vorort von Concord, Massachusetts, sondern es war das abschreckende, bedrückende, urzeitliche Land, »grimmig und wild… primitiv und trüb«, nur für »Menschen gemacht, die Steinen und wilden Tieren verwandter sind als unsereinem«. Diese Erfahrung hat ihn, um mit den Worten eines Biographen zu sprechen, »an den Rand des Wahnsinns« gebracht.
Aber selbst hartgesottenere, dem Leben in der Wildnis angepaßtere Männer als Thoreau ließen sich von der eigentümlichen, fast greifbaren Bedrohung einschüchtern. Daniel Boone, der sich nicht nur Faustkämpfe mit Bären lieferte, sondern auch mit deren Weibchen anbändelte, beschreibt einige Gegenden in den südlichen Appalachen als »so wild und grauenhaft, daß man nicht ohne Erschauern davon berichten kann«. Und wenn schon Daniel Boone Muffensausen kriegt, sollte man sich besser vorsehen.
Als die ersten Europäer in die Neue Welt kamen, gab es in dem Gebiet, das später als die »Lower 48« bezeichnet wurde, also dem nordamerikanischen Kontinent mit Ausnahme von Alaska, knapp 385 Millionen Hektar bewaldete Fläche. Der Chattahoochee Forest, durch den Katz und ich gerade trotteten, gehörte zu einem riesigen geschlossenen Baumbestand, der vom südlichen Alabama bis nach Kanada reichte, und noch weiter, von der At- lantikküste bis zum fernen Grasland entlang des Missouri River.
Der größte Teil
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