Picknick mit Bären
zugebunden oder die Tragegurte strammgezogen und ihn dann vergessen hatte. Wir sorgten füreinander. Das war wirklich schön. Ich kann es nicht anders sagen.
Gegen vier Uhr suchten wir uns regelmäßig eine Stelle zum Zelten. Einer ging los, um Wasser zu holen und es zu filtern, während der andere in einem Topf eine Pampe aus dampfenden Nudeln zubereitete. Manchmal redeten wir dabei, aber meistens verbrachten wir die Zeit in kameradschaftlichem Schweigen. Gegen sechs trieben uns die Dunkelheit, die Kälte und die Müdigkeit in unsere Zelte. Katz schlief jedesmal umgehend ein, soweit ich das beurteilen kann. Ich las immer noch ungefähr eine Stunde lang und hatte dafür die völlig untaugliche, kleine Stirnlampe aufgesetzt, deren Strahlen konzentrische Kreise auf die Buchseite warfen, wie eine Fahrradlampe. Weil ich das Buch schräg halten mußte, um das Licht einzufangen, wurde mir irgendwann an Schultern und Armen, die nicht im Schlafsack steckten, kalt, und sie wurden schwer. Ich blieb noch wach liegen und lauschte in der Finsternis den seltsam klaren, artikulierten Geräuschen des Waldes bei Nacht, dem Fegen und Seufzen des Windes, dem müden Stöhnen der sich wiegenden Äste, dem endlosen Gewese und Gemurmel, wie in einem Genesungsheim nach dem Lichtlöschen, bis ich selbst auch in einen tiefen Schlaf fiel. Morgens wachten wir bibbernd vor Kälte auf, wiederholten unsere kleinen Rituale, packten die Rucksäcke, setzten sie auf und wagten uns wieder in den großen undurchdringlichen Wald.
Am vierten Abend lernten wir jemanden kennen. Wir waren gerade auf einer hübschen Lichtung neben dem Trail angekommen, hatten die Zelte aufgeschlagen, mampften unsere Nudeln, genossen das exquisite Vergnügen, nichts zu tun und nur herumzusitzen, als eine pummelige Frau mit Brille und roter Jacke und dem unvermeidlichen überdimensionalen Rucksack des Weges kam. Sie musterte uns mit dem verkniffenen Blick eines Menschen, der entweder ständig konfus oder stark kurzsichtig ist. Wir grüßten einander und tauschten die üblichen Gemeinplätze über das Wetter und den ungefähren Standort aus. Dann kniff sie wieder die Augen zusammen, sah, daß die Dämmerung hereinbrach und verkündete, daß sie ihr Lager neben unserem aufschlagen werde.
Sie hieß Mary Ellen und kam aus Florida. Sie war, wie Katz sie später immer wieder in ehrfurchtsvollem Ton titulierte, »ein harter Brocken«. Sie redete ununterbrochen, außer wenn sie ihre Ohrtrompete reinigte, was häufig genug geschah. Zu diesem Zweck hielt sie sich die Nase zu und stieß kräftig Luft aus, was mit einem kräftigen und höchst alarmierenden Schnauben verbunden war, bei dem jeder Hund vom Sofa gesprungen und sich unter dem Tisch im Nebenzimmer verkrochen hätte. Ich weiß längst, daß Gott in seinem Plan für mich vorgesehen hat, ich solle jeweils etwas Zeit mit den dümmsten Menschen der Welt verbringen, und Mary Ellen war der Beweis dafür, daß ich diesem Schicksal auch in den Wäldern der Appalachen nicht entkommen konnte. Es war von der ersten Sekunde an klar, daß sie ein ganz besonders seltenes Exemplar dieser Gattung war.
»Na, was gibt’s denn bei euch zu essen?« sagte sie, pflanzte sich auf einen freien Baumstamm und reckte den Hals, um einen Blickinden Topf werfen zu können. »Nudeln? Schwerer Fehler. Nudeln geben so gut wie keine Energie. Tendenz gegen Null.« Sie schnaubte wieder, um den Innendruck in den Ohren loszuwerden. »Ist das ein Zelt von Starship?«
Ich sah hinüber zu meinem Zelt. »Ich weiß es nicht.«
»Schwerer Fehler. Die haben dich bestimmt übers Ohr gehauen in dem Ausrüstungsladen. Wieviel hast du dafür bezahlt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Auf jeden Fall zuviel. Du hättest dir ein Zelt besorgen sollen, das für drei Jahreszeiten geeignet ist.«
»Das Zelt ist für drei Jahreszeiten geeignet.«
»Entschuldige bitte, wenn ich das sage, aber es ist ausgesprochen dämlich, im März mit einem Zelt hierherzukommen, das nicht für drei Jahreszeiten geeignet ist.« Sie schnaubte wieder.
»Das Zelt ist für drei Jahreszeiten geeignet.«
»Du kannst von Glück sagen, daß du noch nicht erfroren bist. Geh zurück in den Laden und schlag den Kerl zusammen, der dir das angedreht hat, denn das war, sag ich mal, absolut unnötig, dir so’n Ding zu verkaufen.«
»Glaub mir, das Zelt ist für drei Jahreszeiten gedacht.«
Sie schnaubte und schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das da ist ein Zelt für drei Jahreszeiten.« Sie zeigte auf
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