Picknick mit Bären
Wort, sie sind nutzlos, lächerlich, ja gefährlich. Niemand sollte mit solchen Karten in die Wildnis geschickt werden.
Dieser Umstand offenbarte sich mir in seiner ganzen Tragweite erst, als ich auf dem Parkplatz des Caledonia State Park stand und mir einen Kartenausschnitt ansah, der ein einziger Fleck aus lauter Spiralen -war, - wie ein mißratener Fingerabdruck. Es war zum Heulen. In die einzige Höhenlinie hinein war eine Zahl in mikroskopischer Größe geschrieben. Die Zahl sollte entweder 548 oder 348 heißen, es war unmöglich zu erkennen, aber das spielte sowieso keine Rolle, denn es war nirgendwo ein Maßstab angegeben, nichts, woraus der Höhenunterschied von einer Linie zur nächsten hervorging oder ob das Bündel von Linien einen steilen Aufstieg oder einen jähen Abhang anzeigte. Was den Park und die nähere Umgebung betrifft, war nichts, aber auch gar nichts eingetragen. Mein Standort hätte 20 Meter oder auch zwei Kilometer vom Appalachian Trail entfernt sein können, es war anhand der Karte einfach nicht zu erkennen.
Dummerweise hatte ich mir die Karten nicht angeschaut, bevor ich von zu Hause aufgebrochen war. Ich hatte überstürzt meinen Rucksack gepackt und nur darauf geachtet, daß ich das richtige Karten-Set dabeihatte, und es in den Sack gestopft. Jetzt sah ich sie mir alle nacheinander an und war bestürzt, so als würde ich mir kompromittierende Fotos von einem geliebten Menschen anschauen. Ich hatte von Anfang an gewußt, daß ich nicht durch ganz Pennsylvania laufen wollte – dazu hatte ich weder die Zeit noch die geringste Lust –, aber ich hatte gedacht, wenigstens ein paar schöne Rundwanderwege zu finden, die mir etwas von der Besonderheit des Bundesstaates vermittelten, ohne ständig denselben Weg zurückgehen zu müssen. Bei der Durchsicht des gesamten Karten-Sets wurde jedoch nicht nur deutlich, daß es keine Rundwanderwege gab, sondern daß es jedesmal reines Glück bedeuten würde, wenn ich überhaupt hier und da auf den Trail stieße.
Seufzend steckte ich die Karten wieder ein, machte mich auf den Weg durch den Park und suchte nach den vertrauten, weißen Zeichen des AT. Es war ein hübscher Park, in einem waldreichen Tal gelegen und ziemlich leer an diesem herrlichen Morgen. Ich ging ungefähr eine Stunde lang, zwischen Bäumen hindurch, über Fußgängerbrücken aus Holz, aber den AT fand ich trotzdem nicht. Über einen einsamen Highway und durch dichtes Blättertreiben vom Michaux State Forest her gelangte ich zum Pine Grove Furnace State Park, einem großen Freizeitpark, den man um einen alten Schmelzofen aus dem 19. Jahrhundert herum angelegt hat, woher auch der Name stammt. Der Ofen ist heute eine malerische Ruine. Es gab Imbißstände, Picknicktische und einen See mit einem abgetrennten Bereich zum Baden, aber alles war geschlossen, und es war keine Menschenseele zu sehen. Am Rand des Picknickareals stand ein riesiger Müllcontainer mit einem robusten Metalldeckel, der ziemlich malträtiert und verbeult aussah, fast aus den Angeln gehoben, wahrscheinlich von einem Bären, der sich über die Abfälle hermachen wollte. Ich sah mir den Container ehrerbietig aus der Nähe an. Ich wußte nicht, daß Bären solche Kräfte entwickeln konnten.
Endlich prangten mir auch die AT-Zeichen entgegen. Der Weg führte um den See herum und dann steil aufwärts durch einen Wald bis zum Gipfel des Piney Mountain, der nicht auf der Karte eingezeichnet ist und mit knapp 460 Metern eigentlich auch kein richtiger Berg ist. Trotzdem stellte er an einem warmen Sommertag wie heute eine Herausforderung dar. Außerhalb des Parks befindet sich eine Tafel, die die traditionelle, aber rein theoretische Mitte des Appalachian Trail markiert, mit 1.738,36 Kilometern Fußweg in beide Richtungen. Da niemand genau sagen kann, wie lang der AT tatsächlich ist, liegt die Mitte wahrscheinlich irgendwo 80 Kilometer weiter links oder rechts von dem angezeigten Punkt; auf jeden Fall verschiebt sie sich wegen der dauernden Änderung des Wegverlaufs jedes Jahr. Zwei Drittel der Weitwanderer bekommen den Punkt ohnehin nie zu sehen, weil sie bis dahin längst aufgegeben haben. Eigentlich muß es doch ein enttäuschender Moment sein, wenn man sich zehn, elf Wochen lang durch bergige Wildnis gequält hat und einem an dieser Stelle klar wird, daß man trotz aller Strapazen erst die Hälfte geschafft hat.
Hier ungefähr fand auch einer der berüchtigteren Morde des Trail statt, der Mord, der im Zentrum des Buches
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