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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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wie schwierig es für den Park Service sei, mit den bescheidenen Mitteln, die ihm zur Verfügung stünden, gute Arbeit zu leisten. Bei der Gründung des Parks sei genug Geld vorhanden gewesen, um wenigstens die Hälfte des Schoolhouse Ridge Battlefield oberhalb der Stadt zu kaufen (eines der bedeutendsten, wenn auch kaum gewürdigten Schlachtfelder des Bürgerkriegs), und jetzt sei eine Planungsgesellschaft dabei, auf diesem, in seinen Augen geheiligten Boden Häuser und Geschäfte zu errichten. Die Gesellschaft habe bereits Leitungen auf Grundstücken des Nationalparks verlegt, in der zuversichtlichen, wie sich aber herausstellte, irrigen Annahme, der Park Service habe weder den Wunsch noch das Geld, sie davon abzuhalten. Fox riet mir, ich solle mir das unbedingt ansehen. Ich versprach es ihm.
    Zuerst aber mußte ich eine -wichtige Pilgerstätte aufsuchen. Harpers Ferry ist das Hauptquartier der Appalachian Trail Conference, Aufsichtsbehörde des prächtigen Wanderwegs, den ich mir für diesen Sommer vorgenommen hatte. Die ATC ist in einem bescheidenen weißen Haus an einem steilen Hang oberhalb der Altstadt untergebracht. Ich erklomm den Hang und betrat das Haus. Das Hauptquartier ist halb Büro, halb Laden; das Büro macht den löblichen Eindruck, als würde dort gearbeitet, und der Laden ist bestückt mit AT-Führern und Andenken. In einer Ecke des öffentlichen Teils stand ein Modell des gesamten Trails in großem Maßstab, das mich sicher von meinem ehrgeizigen Unternehmen abgebracht hätte, wenn ich es vor Beginn der Wanderung gesehen hätte. Es war ungefähr viereinhalb Meter lang und vermittelte auf eindrucksvolle Weise und mit einem Blick, was eine 3.500 Kilometer lange Bergkette bedeutete: Schwerstarbeit. Die übrigen öffentlichen Räume waren mit AT-Souvenirs angefüllt – T-Shirts, Ansichtskarten, Tüchern, verschiedenen Broschüren und Schriften. Ich kaufte ein paar Bücher und Postkarten und wurde von einer freundlichen jungen Frau bedient, Laune Potteiger, deren Namensschildchen sie als »Information Specialist« auswies. Anscheinend hatte man mit ihr genau die Richtige für diesen Job gefunden, denn sie war eine wahre Fundgrube für Informationen.
    Sie erzählte mir, im Vorjahr seien 1.500 Wanderer mit der Absicht losgegangen, den ganzen Trail an einem Stück zu gehen, besagte Weitwanderer. 1.200 hätten es bis Neels Gap geschafft (mit anderen Worten, 20 Prozent hatten nach einer Woche aufgegeben!); etwa ein Drittel sei bis Harpers Ferry gekommen, ungefähr bis zur Hälfte der Strecke; und 300 seien bis zum Mount Katahdin gekommen. Das war eine höhere Erfolgsquote als üblich. 60 Leute hätten den Weg von Norden nach Süden erfolgreich absolviert. In den letzten vier Wochen habe das diesjährige Kontingent der Weitwanderer den Ort passiert, aber es sei noch zu früh für eine Einschätzung, auf jeden Fall werde die endgültige Zahl wieder höher liegen. Sie steige sowieso fast jedes Jahr.
    Ich erkundigte mich nach den Gefahren, die einem auf dem Trail drohten, und sie sagte mir, in den acht Jahren, die sie nun hier arbeite, habe es nur zwei nachgewiesene Fälle von Schlangenbiß gegeben, beide nicht tödlich; eine Person sei durch Blitzschlag umgekommen.
    Dann fragte ich sie nach dem Mord an den beiden Frauen.
    Sie setzte eine mitfühlende Miene auf. »Schrecklich. Das hat uns alle sehr aufgeregt, weil Vertrauen in seine Mitmenschen eine Grundvoraussetzung für jeden ist, der den AT entlanggeht. Ich bin selbst 1987 die ganze Strecke abgewandert. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie sehr man auf die Hilfsbereitschaft von Fremden angewiesen ist. Eigentlich ist der ganze Trail darauf ausgerichtet. Und wenn das Vertrauen erst mal dahin ist…« Dann wurde sie sich ihrer Position bewußt und nahm den offiziellen Standpunkt ein – die altbekannte Leier, man dürfe nicht vergessen, daß der Trail von den allgemeinen Übeln der Gesellschaft nicht ausgenommen sei, aber daß er trotzdem, statistisch gesehen, außerordentlich sicher sei, verglichen mit vielen anderen Orten in Amerika. »Seit 1937 sind neun Morde geschehen, so viele wie in jeder normalen Kleinstadt.« Das war korrekt, aber auch ein bißchen irreführend. In den ersten 36 Jahren war nämlich auf dem AT kein einziger Mord passiert, aber neun Morde in den vergangenen 22 Jahren. Dennoch war ihr erstes Argument unbestreitbar. Die Wahrscheinlichkeit, in seinem eigenen Bett ermordet zu werden, ist höher, als die, auf dem AT gewaltsam ums Leben

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