Picknick mit Bären
zu kommen. Wie drückte es doch ein amerikanischer Bekannter so schön aus: »Zieht man eine 3.000 Kilometer lange, gerade Linie durch die USA, egal in welchem Winkel, trifft man dabei insgesamt unweigerlich auf neun Mordopfer.«
»Es gibt ein Buch über einen der Morde, falls Sie das interessiert«, sagte die Verkäuferin und faßte unter die Ladentheke. Sie kramte eine Weile in einem Karton und holte dann ein Taschenbuch mit dem Titel Eight Bullets hervor, das sie mir zur Ansicht reichte. Es ging um zwei Wanderer, die 1988inPennsylvania erschossen worden waren. »Wir haben es nicht ausgestellt, weil es die Leute nur aufregt, besonders jetzt«, sagte sie entschuldigend.
Ich kaufte das Buch, und als sie mir das Wechselgeld herausgab, teilte ich ihr meinen Gedanken von eben mit, daß nämlich die beiden Frauen aus Shenandoah jetzt hier durchgekommen wären, wenn sie überlebt hätten. »Ja«, sagte sie, »daran habe ich auch schon gedacht.«
Es nieselte, als ich nach draußen trat. Ich ging hoch zum Schoolhouse Ridge, um mir das Schlachtfeld anzusehen. Es war ein weiter, parkähnlicher Hügel, durch den sich ein Lehrpfad schlängelte, in Abständen versehen mit Informationstafeln über Sprengladungen, über letzte, verzweifelte Attacken und andere kriegerische Handlungen. Die Schlacht um Harpers Ferry war der schönste Moment im Leben von Stonewall Jackson (der zuletzt in die Stadt gekommen war, um John Brown an den Galgen zu bringen), denn hier gelang es ihm mit einem geschickten Manöver und etwas Glück, 12.500 Soldaten der Unionstruppen gefangenzunehmen, mehr amerikanische Soldaten, als je bei einer einzigen militärischen Operation in gegnerische Hände gerieten – abgesehen vom Frühling 1942, als amerikanische Einheiten in Bataan und Corregidor auf den Philippinen von japanischen Truppen besiegt wurden.
Stonewall Jackson war eine wahrhaft schillernde Gestalt. Es lohnt sich, ihn einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Nur wenigen Menschen ist es bislang gelungen, mit nutzloseren Gehirnaktivitäten in kürzerer Zeit mehr Ruhm zu ernten als General Thomas J. Jackson. Seine Marotten waren legendär. Er war hoffnungslos hypochondrisch veranlagt und dabei sehr erfinderisch. Einer seiner liebenswerteren physiologischen Glaubenssätze besagte, daß ein Arm größer sei als der andere, folglich ging und ritt er immer mit einem erhobenen Arm, so daß das Blut in seinen Körper zurückfließen konnte. Er war ein Viel- und Langschläfer, und mehr als einmal schlief er mit vollem Mund bei Tisch ein. Bei der Battle of White Oak Swamp sahen sich seine Offiziere außerstande, ihn zu wecken, und hievten ihn, der nur halb bei Bewußtsein war, auf sein Pferd, wo er weiterschlummerte, während um ihn herum die Granaten explodierten. Er legte übertriebenen Eifer bei der Inventur von Beute an den Tag und verteidigte sie, koste es, was es wolle. Die Liste des Kriegsmaterials, das er während des Feldzugs in Shenandoah 1862 der Armee der Unionstruppen entriß, umfaßte »sechs Taschentücher, zweidreiviertel Dutzend Halstücher und eine Flasche rote Tinte«. Seine Vorgesetzten und Offizierskollegen trieb er zum Wahnsinn, weil er sich einerseits wiederholt Anweisungen widersetzte, andererseits, weil er die paranoide Angewohnheit besaß, seine Strategie, wenn er denn eine hatte, keinem Menschen zu verraten. Einem Offizier, der unter seinem Kommando stand, befahl er, sich aus der Stadt Gordonsville zurückzuziehen, obwohl dieser dort kurz vor einem entscheidenden Sieg stand, und auf kürzestem Weg nach Staunton zu marschieren. Als er in Staunton ankam, war eben der Befehl eingegangen, sich auf der Stelle nach Mount Crawford zu begeben. Dort wiederum wurde ihm mitgeteilt, nach Gordonsville zurückzukehren.
Jackson handelte sich bei den verwirrten, feindlichen Offizieren hauptsächlich wegen der Angewohnheit, seine Truppen ohne jede Logik und für niemanden nachvollziehbar im Shenandoah Valley hin und her zu schieben, den Ruf eines arglistigen Menschen ein. Sein unsterblicher Ruhm beruht fast einzig und allein auf der Tatsache, daß er einige wenige, beflügelnde Siege errang, als anderswo die Truppen der Südstaaten abgeschlachtet und in Marsch gesetzt wurden, und daß er den besten Spitznamen trägt, dessen sich je ein Soldat erfreut hat. Er war zweifellos ein tapferer Mensch, aber es ist durchaus möglich, daß er den Spitznamen nicht wegen seines Wagemuts und seiner Verwegenheit erhielt, sondern wegen seiner Unbeweglichkeit,
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