Pilger des Zorns
an sich. »Da kann man ja nur hoffen, dass unser Freund Hilpert noch möglichst lange unter den Lebenden weilen wird.«
»Mit so etwas macht man keine Scherze, mein Herz.«
»Stimmt. Aber wenn ich den Kerl am Steuerruder so ansehe, scheint er diesem Charon verdammt noch mal …«
»Du sollst nicht fluchen, mein Herz.«
»… ziemlich ähnlich zu sehen. Was hast du gerade eben gesagt, oh du mein Daseinszweck?«
Irmingardis gab keine Antwort, sondern ließ den Blick aufs Achterdeck wandern. Der Lockenkopf stand am Ruder, der Knabe in unmittelbarer Nähe. Er rollte ein Tau zusammen, eifrig darauf bedacht, nur ja alles richtig zu machen.
»Sieht so aus, als ob du nicht ganz unrecht hast, mein Herz. Der Choleriker da oben kann einem wirklich das Fürchten lehren.«
»Und das von jemandem wie dir.«
»Ich meine ja bloß – so wie der aussieht, würde ich mir das an Hilperts Stelle noch mal überlegen!«
»Was denn?« Von Berengar und Irmingardis gänzlich unbemerkt, hatte sich Hilpert den Freunden genähert und sah sich gut gelaunt um. »Irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Nichts von Bedeutung!«, wiegelte Berengar ab. »Und – hast du dir das gut überlegt?«
»Da gibt ’ s nichts zu überlegen. Gegenüber dem Wunsch meines Abtes, der im Übrigen auch der meinige ist, haben persönliche Begehrlichkeiten zurückzustehen.«
»Selbst dann, wenn es einen neuen Fall zu lösen gäbe?«
»Wieso?«
»Stell dir vor: War doch mein Schwesterherz gestern beim Prior des Dominikanerklosters zur Beichte. Dreimal darfst du raten, was er ihr unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit anvertraut hat!«
»Und wie kommt es, dass Sieglinde überhaupt die Beichte abnehmen darf?«
Berengar rollte die Augen und warf seiner Verlobten einen gequälten Seitenblick zu. »So ist er nun einmal, mein Herz!«, hörte sich sein Lamento nicht gerade überzeugend an. »Jederzeit zu einem Späßchen bereit.«
Bruder Hilpert tat so, als habe er die Hänselei des Freundes überhört, und fragte: »Und was, bitte schön, hat sich in der Nachbarschaft deiner Schwester Aufregendes zugetragen?«
»Nichts!«, machte sich Berengar einen Spaß daraus, Bruder Hilpert zappeln zu lassen. »Außer vielleicht, dass die Preziosen des Konvents seit letztem Monat verschollen sind. Nebst der Kassette mit dem Geld. Welche just zu diesem Zeitpunkt randvoll gewesen sein soll. So zumindest der Prior. Und der muss es bekanntlich wissen.«
»Irgendwelche Anhaltspunkte?«
Berengar, der sich bereits auf der Siegerstraße wähnte, konnte ein Grinsen nur mit Mühe unterdrücken. »Leider nein. Dem Vernehmen nach fehlt vom Dieb oder den Dieben jedwede Spur. Um sich und ihren Orden nicht zum Gespött zu machen, haben die Dominikaner bislang strengstes Stillschweigen bewahrt.«
»Jedenfalls so lange, bis deine Schwester geruhte, das Beichtgeheimnis zu brechen«, konnte sich Bruder Hilpert einen Seitenhieb nicht verkneifen. »Um es auf den Punkt zu bringen: Was ist über den … wie heißt der Täter überhaupt?«
An diesem Punkt des Gesprächs war es um Berengars Selbstbeherrschung geschehen. »Und du willst mir weismachen, dass du dich für weltliche Belange nicht mehr interessierst!«, lachte er. »Im Ernst: Er heißt Malachias, ist um die 40 und …«
»Und wenn schon – mein Entschluss steht fest!«, wollte sich Bruder Hilpert keine weitere Blöße geben. »Für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Orden des heiligen Dominikus zu Würzburg vor dem Ruin stehen sollte, muss sich der Bruder Prior einen anderen Spürhund suchen. Sich dem Wunsch des Abtes zu widersetzen, ist ein schwerwiegendes Vergehen, Gehorsam zu üben, meine oberste Pflicht.«
»War ja nur so eine Idee!«, versuchte sich Berengar aus der Affäre zu ziehen und scharrte mit dem Fuß. »Schließlich hast du dir innerhalb kürzester Zeit einen beachtlichen Ruf erworben.«
»Ein Grund mehr, mich wieder auf meine Pflichten zu besinnen«, beharrte Bruder Hilpert und lächelte Irmingardis an. »Was trägst du da eigentlich mit dir herum?«
»Wenn schon Gehorsam, dann wenigstens mit vollem Magen!«, ließ ihre Antwort nicht auf sich warten, und während die beiden Freunde einen verdutzten Blick tauschten, händigte Berengars Verlobte dem Zisterzienserbruder einen prall gefüllten Proviantbeutel aus. »Bekanntlich hat ein wenig Wegzehrung noch niemandem geschadet. Falls du bereit bist, mit Fladenbrot, Ziegenkäse, Eiern, Ingwerkuchen und allerlei Naschwerk vorliebzunehmen. Einen Schlauch
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