Pilgern auf Französisch
besser.
»Sie wissen nicht zufällig, ob es hier auf dem Weg ein paar Kneipen gibt?«
»Kneipen? Oh, auf dem Weg gibt es viele Kneipen, keine Sorge, wir werden ständig an welchen vorbeilaufen.«
Claude bekommt richtig gute Laune.
»Ein schönes Tuch haben Sie da. Steht Ihnen gut.«
Mathilde erwidert Claudes Lächeln.
Ramzi geht neben Guy und bombardiert ihn mit Fragen.
»Wann sehn wir denn jetzt endlich mal Kühe?«
»Schon bald. Ständig. Im Aubrac gibt es sehr schöne Kühe, sie haben schwarz umrandete Augen, man könnte meinen, sie seien mit Kajal geschminkt.«
»Neeiin! Die Kühe sind geschminkt? Mit Kajal?«
»Ja, das könnte man fast meinen.«
»Sind das arabische Kühe?«
Guy will nicht widersprechen.
»Ja, ein bisschen arabisch...«
»Und Schafe? Sehn wir auch Schafe?«
»Aber ja, ganz viele.«
»Is ja klar — weil man fürs Aid so viele schlachten muss.«
»Wie bitte?«
»Fürs Aid El Adha, das Opfer am Ende der Pilgerreise.«
»Ach ja? Ich weiß nicht, ob man für das Opfer Schafe schlachtet, aber...«
»Doch, doch, meine Mutter hat’s gesagt.«
»Na, wenn deine Mutter das gesagt hat...«
»Dann stimmt’s. Alles, was meine Mutter sagt, stimmt.«
Camille und Elsa erfrischen sich in einem Bach.
Elsa steht bis zu den Hüften im Wasser, Camille benetzt sich nur die Beine. Da die beiden allein sind, nutzt Elsa die Gelegenheit und verlangt von ihr eine Erklärung, warum die Jungs dabei sind. Camille schwört, sie habe nicht gewusst, dass die beiden mitkommen wollten.
Elsa: »Und was soll eigentlich dieses ganze Gerede von wegen Santiago-Mekka?«
»Weiß ich nicht. Ich glaube, Said hat dafür Geld von Ramzis Mutter bekommen oder so etwas in der Richtung.«
»Ramzi ist ein bisschen doof im Kopf, oder?«
»Nein, er ist nur... ach, ich weiß auch nicht... zurückgeblieben, aber dumm ist er nicht, er will lesen lernen.«
»Er kann nicht lesen?«
»Nein.«
»Wie alt ist er denn?«
»Vierzehn, fünfzehn.«
»Ist Said immer noch in dich verknallt?«
»Das weiß ich doch nicht!«
»Und ist er immer noch deine große Liebe?«
Genau solche Fragen bringen Camille auf die Palme. Wie kann Elsa diesen altmodischen Begriff »große Liebe« nur in den Mund nehmen? Und dann auch noch Said damit meinen? Aber zwischen ihr und ihm ist nichts, gar nichts. Sie spricht oft von ihm, ja, aber das ist auch alles. Ein paarmal hat er ihr nette Briefchen geschrieben, die sie aufbewahrt hat, aber daraus muss man doch keine große Sache machen. Dass Elsa immer aus allem einen Groschenroman macht, ödet Camille gewaltig an.
»Große Liebe, große Liebe! Du nervst mich mit deiner großen Liebe! Es gibt keine große Liebe. Ich glaube nicht an die große Liebe.«
Elsa begreift gar nichts mehr. Weder, warum die Jungs dabei sind, noch begreift sie Camille, denn Elsa weiß genau, dass ihre Kusine wirklich in Said verliebt ist, und zwar schon seit Monaten. Schließlich hat sie Augen und Ohren im Kopf.
MITTAG. ESSENSZEIT.
Der Beruf des Coach umfasst zahlreiche Verpflichtungen: Er muss die Sicherheit der Gruppe gewährleisten, muss bei einem Notfall Erste Hilfe leisten, muss Fragen über Flora und Fauna der durchwanderten Landschaft beantworten können, er muss Plätze in den Herbergen buchen, bestätigen und rückbestätigen (denn selbst wenn man gebucht hat, ist kein Verlass darauf, dass man in den Herbergen auch tatsächlich einen Platz bekommt), er muss ein Tempo vorgeben, das den Leuten entspricht, die mehr oder weniger geübte Wanderer sind, er muss dafür sorgen, dass es in der Gruppe keine größeren Konflikte gibt, er muss sich zu helfen wissen und in den Dörfern, durch die sie kommen, fürs Mittagessen einkaufen, dann muss er die Einkäufe zusätzlich zu seinem eigenen Gepäck im Rucksack tragen, abends, wenn alle anderen schlafen, muss er das Picknick vorbereiten, und dann muss er auch noch Kontakt zu seiner fernen Familie halten und schöne Plätze für die Rast und die Mittagsruhe finden...
Nachdem Guy also einen schönen Platz am Ufer eines Weihers gefunden hat, umgeben von einem weiten Kranz purpurner Berge, packt er das Essen aus, das er am Abend zuvor mit seinen eigenen schwarzen Händen vorbereitet hat: Plastikschüsseln, Brot und eine Flasche Wein.
Claude gefällt die Flasche, die Guy vor ihn hingestellt hat.
Pierre wühlt in seinem Arzneibeutel und hantiert hektisch mit seinen vielen Anti-Stress-Bonbons herum.
Alle holen das Essgeschirr und das Besteck aus dem Rucksack — außer
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