Pilgern auf Französisch
mit Mädchen umgehen, das is toll.«
Die Pilger sind nun seit zwei Wochen unterwegs.
Nach zwei Wochen auf dem Jakobsweg kommt eine entscheidende Wende. Der Körper hat sich an die Anstrengung gewöhnt, der Geist sträubt sich noch ein wenig dagegen. In schwierigen Augenblicken würde man immer noch am liebsten kehrtmachen.
Diese Krise macht Pierre gerade durch. Ihm tut alles weh, er ist schlecht drauf, er denkt an Édith. Immer geht er allein, immer als Letzter, die Steigungen machen ihn fertig. Dann, am Fuß des x-ten Berges, der sich furchterregend vor ihm erhebt, bleibt er unvermittelt stehen. Der Schwachsinn des ganzen Unterfangens steht ihm auf einmal klar vor Augen: Was tue ich hier eigentlich? Diese Erbschaft geht mir doch am Arsch vorbei!
Die Gruppe da oben erscheint ihm zu weit entfernt, als dass er sie je wieder einholen könnte. Er verliert die Nerven, er brüllt zu ihnen hinauf:
»Mir reicht’s! Bleibt endlich stehen! He! Stehen bleiben! Hört ihr?«
Die Pilger halten inne, wenden sich um.
Guy ruft ihm zu: »Huhu, Pierre! Alles in Ordnung?«
»Nein, gar nichts ist in Ordnung. Mit reicht’s. Ich bin erschöpft, ich habe keine Medikamente, ich breche ab, ich will nach Hause. Au revoir.«
Er dreht sich um und geht.
Guy läuft hinter ihm her.
»Was soll das? So bleiben Sie doch stehen, Pierre! Wo wollen Sie denn hin?«
Pierre macht sich an den Abstieg, er schreit, ohne sich umzudrehen:
»Ich will keinen Berg mehr hinaufsteigen. Nie wieder!«
»Was?«
»Mir reicht’s, das kann ich Ihnen sagen. Ich kann nicht mehr. Das ist mir zu steil, mein Herz hält das nicht aus, ich gehe.«
Die letzten Sätze spuckt er Guy, der ihn eingeholt hat, ins Gesicht.
Die beiden Männer bleiben stehen und bieten sich gegenseitig die Stirn. Sie sprechen nicht miteinander, sie bellen sich an.
»Sie können nicht einfach so abhauen, ich trage die Verantwortung für Sie und die Gruppe.«
»Ich gehe, wann ich will! Es ist mir zu steil. Außerdem ist meine Frau krank, und ich habe keine Medikamente mehr.«
»Was hat Ihre Frau?«
»Sie ist ins Koma gefallen, weil sie trinkt, wenn ich nicht da bin und es verhindere. Und ich werde noch verrückt hier — kein Mensch redet mit mir. Ich bin total fertig, ich schaffe Ihre Berge nicht mehr, das schlägt mir aufs Herz. Sie sehen andere wohl gern leiden, was? Sie machen sich wohl einen Spaß daraus, ein derartiges Tempo vorzulegen, Sie Affe Sie!«
»Nein, es macht mir überhaupt keinen Spaß. Auch ich wäre gern zu Hause, mein Kind liegt im Krankenhaus, und meine Frau schläft mit meinem besten Freund. Auch ich werde noch verrückt mit Ihnen allen, denn jeder denkt nur an sich selbst und die eigenen Probleme und hat kein Auge für die schöne Landschaft...«
Oben am Hang sehen die sieben anderen regungslos zu, wie die beiden Männer sich beharken. Unverständliche Stimmfetzen dringen zu ihnen herauf.
Dann nehmen Guy und Pierre plötzlich ihre Rucksäcke ab, setzen sich mitten auf den steinigen Weg und diskutieren.
Ein leichter Wind kommt auf. Die Gruppe beobachtet die Männer, die unten am Hang, ganz nahe nebeneinander, mit dem Rücken zu den anderen sitzen und selbstvergessen miteinander sprechen.
Pierre setzt den Weg schließlich fort.
Clara hat mit Ramzi einen Pakt geschlossen, sie will versuchen, ihm das Lesen beizubringen, aber heimlich. Weder Camille noch Said dürfen davon erfahren. Die andere Vereinbarung legt fest, dass Ramzi sofort Zeichen gibt, wenn er etwas nicht versteht, und den Unterricht nicht über sich ergehen lässt und so tut, als sei alles in Ordnung.
Clara besteht auf der Geheimhaltungsklausel, weil sie sich ganz und gar nicht sicher ist, ob sie Erfolg hat, und wenn sie scheitert, wäre das die Schande ihres Lebens.
Das kommt auch Ramzi entgegen, er fühlt sich Camille gegenüber schuldig, weil sie so lieb war und ihm helfen wollte, aber aufgeben musste — besiegt von der Unzugänglichkeit seines Gehirns ihrer Methode gegenüber.
Für die erste Unterrichtsstunde haben sich Clara und Ramzi während der Mittagspause von den anderen entfernt. Vor einer Herberge haben sie sich an einen Steintisch gesetzt, Buchenblöcke dienen als Hocker. Als Material hat Clara lediglich ein Stück Papier und einen sehr abgenutzten Bleistift. Doch ihre Erfahrung, ihre Überzeugung und ihre fast schon leidenschaftliche Liebe zur Pädagogik dienen ihr als Werkzeug.
Ramzi hat Claras Vorschlag höflich angenommen, er widerspricht nicht gern und ist auch guten
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