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Pilgern auf Französisch

Pilgern auf Französisch

Titel: Pilgern auf Französisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coline Serreau
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den drei anderen Kindern, die er mit in die Welt gesetzt hat und die er überhaupt nicht sieht, erzählt er wohlweislich nichts.
    »Lebt Ihre Tochter bei Ihnen?«
    »Nein, ihre Mutter und ich haben uns getrennt. Das ist lange her. Und Sie?«
    »Ich bin auch getrennt. Bei mir ist es noch nicht so lange her.«
    »Ach ja?«
    Sie wandern und speichern im Unterbewusstsein die wichtigen Informationen über die jeweiligen Trennungen, das heißt, dass sowohl der eine wie auch der andere ungebunden ist.
    Claude wird ganz poetisch.
    »Schön, diese Wegmarken... Lustig...«
    »Ja, es ist schön, uns geht es gut.«
    »O ja, es geht uns wirklich gut.«
    »Das ist selten, aber hier...«
    »Ja, hier geht es einem gut.«
    Verliebte geben immer mit der größten Selbstverständlichkeit die unglaublichsten Plattitüden von sich, die ihren ganz eigenen Zauber ausüben. Jedes Wort, das aus dem Mund des geliebten Menschen kommt, ist wie eine kostbare Perle. Nach einigen Jahren, Monaten oder schon nach ein paar Wochen (in unserer Zeit werden die Intervalle immer kürzer) werden aus den Perlen stinkende Kröten. Na und? Was vorbei ist, ist vorbei.

    Ramzi ist sehr neugierig auf Elsas Lebensstil, denn er wittert, dass sie reich ist. Und ein reiches Mädchen sieht er zum ersten Mal aus nächster Nähe. Er will Genaueres wissen:
    »Ja, aber in Paris zu leben, ist nichts für mich.«
    »Weißt du, auch in Paris gibt es arme Leute...«
    »Ja, aber nich so viele wie im neun-drei Département. Bist du reich?«
    »Hm, ja, ich glaube schon.«
    »Hast du, äh... zum Beispiel ein Haus auf dem Land?«
    »Ja, habe ich.«
    »Und viele Autos?«
    »Drei, glaube ich.«
    »Drei Autos!«
    »Und einen Jeep fürs Gebirge.«
    »Was für’n Gebirge?«
    »Na, wenn wir Skifahren gehen.«
    »Fährst du oft Ski?«
    »Im Winter, ja.«
    »Macht das Spaß?«
    »Ja... Aber es war mir auch langweilig.«
    »Wieso?«
    »Weil ich als Kind immer den Schlüssel um den Hals hängen hatte.«
    »Was für ’nen Schlüssel?«
    »Na, den Hausschlüssel. Bei uns war nie jemand zu Hause, meine Mutter war die ganze Zeit mit ihren Freunden unterwegs, und ich war mit dem Kindermädchen allein.«
    »Du hast ’n Kindermädchen gehabt?«
    »Kein richtiges Kindermädchen — eben unsere Haushälterin.«
    »Hast du die gemocht?«
    »Ja, sehr. Sie war für mich wie eine Mutter. Und Camilles Mutter hat sich auch sehr um mich gekümmert.«
    »Sind deine Eltern nett?«
    »Ja. Sie leben getrennt.«
    Das tut Ramzi leid.
    »Hm, getrennt... Aber trotzdem biste reich?«
    »Was Geld angeht, ja.«
    »Das genügt doch!«
    »Ich interessiere mich nicht für Geld.«
    »Weil du genug hast...«

    Said wandert allein, er lässt den Kopf hängen.
    Am Ende des Zugs schließt Clara mit Camille auf und fragt sie aus:
    »Was arbeitet Ihre Mutter?«
    »Sie ist Rektorin an einem Gymnasium im dreiundneunzigsten Département, in Seine-Saint-Denis.«
    »Ah, dann kommen Sie also aus einem Lehrerhaushalt.«
    »Ja, aber ich will keine Lehrerin werden.«
    »Das hätte auch gerade noch gefehlt!«
    »Wieso sagen Sie das?«
    »Na, ich will Sie nicht kritisieren, aber ich habe neulich Ihren Leseunterricht verfolgt. Didaktik ist nicht Ihre Stärke.«
    Camille: »Ach nein?«
    »Sie haben den armen Ramzi völlig konfus gemacht. Wenn er nach Ihrer Methode in zehn Jahren seinen Namen lesen kann, fresse ich einen Besen.«
    Camille: »Ich habe keine Methode, ich mache das einfach so, nach Gefühl.«
    »Na ja, wissen Sie, nach Gefühl kommt man mit Dyslektikern nicht sehr weit.«
    Sie holen Said ein, er humpelt.
    Clara spricht ihn an.
    »Geht’s, Said?«
    »Nein, ich glaube, ich habe eine Blase.«
    »Ja, diese blöden Blasen...«
    Er setzt sich an den Wegrand und zieht den Schuh aus, Clara geht weiter, Camille bleibt bei ihm.
    Said: »Freut es dich denn nicht, dass ich mitgekommen bin?«
    Camille: »Was? Doch, ich freue mich.«
    »Du redest nicht mit mir, ich bin dir scheißegal.«
    Camille: »Aber das stimmt doch gar nicht.«
    »Wäre es für dich dasselbe, wenn ich nicht dabei wäre?«
    Camille: »Worauf willst du hinaus, Said? Raus mit der Sprache!«
    »Wie? Was meinst du?«
    Camille: »Willst du mich anmachen? Willst du ficken? Was hast du vor?«
    »Nichts. Ich will nur mit dir zusammen sein.«
    Camille: »Hast du mich gefragt, ob ich will, dass du mitkommst?«
    »Nein.«
    Camille: »Dann sage ich es dir jetzt: Ich habe mich nicht für drei Monate auf diese Wanderung gemacht, um mit Leuten von meiner Penne zusammen zu

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