Pilgern auf Französisch
setzen die Holländer ihren Weg fort und sagen Unverständliches: goede irgendwas, tot irgendwas... Man trennt sich mit einem Lächeln bis über beide Ohren.
Die neun Pilger wandern also weiter nach Santiago und gehen direkt ins Pilgerbüro, um ihre Compostela abzuholen. Wie von Guy instruiert, erklären alle eifrig, dass sie den Jakobsweg aus religiösen Gründen gegangen sind, dass der römische, katholische, apostolische Glaube und der ganze Kladderadatsch tief in ihrem Herzen verwurzelt sind. Ramzi bekommt immer mal wieder heimlich einen Stoß mit dem Ellbogen in die Seite, damit er in diesen heiligen Hallen der Christenheit nicht alle naslang »Allahu akbar« schreit.
Zur größten Entrüstung des Personals im Pilgerbüro entfährt Ramzi dennoch ein laut dröhnendes »Allahu akbar« genau in dem Moment, als ihm seine Compostela ausgehändigt wird. Er fällt Clara um den Hals und küsst sie, als wäre sie seine Mutter. Alle jubeln.
Nur Said geht es gar nicht gut.
Sie wandern durch Santiago, unter Arkaden hindurch, vorbei an Brunnen und schmalen Häusern mit maurischen Gitterfenstern. Hunderte Pilger und Studenten beleben die geschäftigen Straßen. Schnellen Schritts eilt die Gruppe zur Plaza del Obradoiro und betritt den Parador, einen Palast unmittelbar neben der Kathedrale, der einst als königliches Hospiz für die Pilger errichtet wurde.
Der Parador umschließt vier Kreuzgänge mit Brunnen und Rabatten und ist ein Meisterwerk spanischer Renaissancebaukunst, die beim Umbau respektiert und sogar noch verschönert und hervorgehoben wurde. Für die Reichen werden Paläste restauriert, für die Durchschnittspilger tut es Beton.
Dennoch ist es der Durchschnittspilger, der der Stadt ihren Reichtum und weltweit einen Namen beschert.
Die Gruppe verteilt sich auf die Zimmer, die Pierre bezahlt, und bewundert die historische Einrichtung, die üppigen Betten, Badezimmer, so groß wie Zweizimmerwohnungen, und breite Gänge mit Fenstern, die sich auf die Innenhöfe mit den Buchsbaumbeeten öffnen.
Kaum sind die Türen der Hotelzimmer geschlossen, ist es in den mit dicken Teppichen ausgelegten Korridoren des Paradors wieder still.
Guy verlässt sein Zimmer, nachdem er sich vergewissert hat, dass ihn keiner sieht, und klopft leise an eine Tür. Mathilde öffnet ihm, Guy schlüpft schnell in den Raum.
Ramzi lässt schon sein Jahrhundertbad einlaufen. Said, mit dem er das Zimmer teilt, fällt in einen Sessel und schlägt die Hände vors Gesicht.
Sie treffen sich wieder und gehen zusammen zur Pilgermesse, zu deren Abschluss der »Botafumeiro«, das große Weihrauchfass, geschwenkt wird.
Über tausendfünfhundert Menschen drängen sich im Mittel- und Querschiff der Kathedrale. Nach einer recht einschläfernden Messe, die man, ohne zu murren, über sich ergehen lassen muss, wenn man das Beste nicht verpassen will, beginnt dann das große Spektakel:
An einem Seil, das in gut zwanzig Metern Höhe an einem Gestänge in der Vierungskuppel angebracht ist, hängt ein riesiges, achtzig Kilo schweres Weihrauchfass aus versilbertem Messing, der Botafumeiro. Die »Tiraboleiros«, acht Männer in roten Soutanen, ziehen an dem Seil, das an seinem Ende in acht Teile aufgespleißt ist, bis das Weihrauchfass wie ein Pendel durch das Querschiff schwingt. An den jeweils höchsten Punkten lockern die Tiraboleiros ihren Griff, und wenn der Botafumeiro den tiefsten Punkt seiner Bahn erreicht hat, ziehen sie mit aller Kraft am Seil, damit er wieder hinaufschwingt. So wird die Amplitude mit jedem Mal größer, bis das Seil fast horizontal gespannt ist, das Fass fast die Gewölbedecken erreicht und dann vom Südportal, der Puerta de la Azabacheria, zum Nordportal, der Puerta de las Platerías, in einem Bogen von fünfundsechzig Metern Länge und mit einer Geschwindigkeit von achtundsechzig Stundenkilometern durch das gesamte Querschiff fliegt und dabei unter der Vierung fast den Boden berührt. Auf seinem Flug verströmt der Botafumeiro Weihrauchwölkchen, die die ganze Kathedrale mit Duft erfüllen. Diese eindrucksvolle Zeremonie hat ihren Ursprung übrigens darin, dass man im Mittelalter die Kirche nach der Pilgermesse desinfizieren musste, weil die Pilger sich wochenlang nicht gewaschen hatten. Der Gestank war offenbar nur schwer auszuhalten.
Und auch heute haben die Pilger — die echten, jene, die rund eintausendsechshundert Kilometer gewandert sind und in Herbergen geschlafen haben — , wenn sie in Santiago ankommen, einen
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