Pilgern auf Französisch
unerschütterlich, obwohl sein Herz bei der Erwähnung der sexuellen Eskapaden der beiden zu rasen beginnt. Er brächte Claude am liebsten um, will ihn fertigmachen, ihm die große Schmarotzerfresse einschlagen, aber genau das bezweckt Claude ja. Guy nimmt sich zusammen und sagt mit harmloser Miene: »Ah ja, auf der Wiese...?«
»Und auch sie wird sich mit Ihnen sehr wohlfühlen.«
Claude will herausfinden, ob die beiden schon zusammen sind, welche Pläne sie haben, ob sie sich lieben. Das ist immer so: die lächerliche Neugier des Verlassenen, der nichts und niemanden mehr beeindrucken kann. Guy ist zu klug, um seinen Triumph auszuspielen, aber er spürt eine Sicherheit — die Sicherheit, dass sich mit einem Menschen, der so viel Leid erlebt hat wie er, eine Liebe entwickeln wird. Er sagt nur: »Wir werden sehen« — rechnet aber nicht damit, dass er Claude damit den Todesstoß versetzt.
Bewusstlos bricht Claude zusammen.
Die Gruppe sitzt immer noch im Straßenstaub und wartet.
Guy kommt zurück, den halb ohnmächtigen Claude trägt er auf der Schulter.
Pierre und Clara werden blass vor Scham und Mitleid; sie eilen zu Guy und nehmen ihm seine Last ab, sie stützen ihren Bruder, der kaum noch gehen kann, tragen ihn wie einen Christus, der von seinem Alkoholkreuz gefallen ist.
Sie erreichen das Cruz de Ferro. Das Eisenkreuz ragt aus einem Berg von Millionen Steinen hervor.
Guy: »Es ist jedem selbst überlassen, aber gewöhnlich legen die Pilger am Kreuz einen Stein nieder.«
Elsa: »Warum?«
»Einfach so. Um zu zeigen, dass sie hier vorbeigekommen sind. Seit dem Mittelalter steht jeder Stein, den Sie hier sehen, für einen Pilger.«
Pierre legt einen Stein nieder, gefolgt von Ramzi und Said, die den Hügel erklimmen. Ramzi kniet nieder und platziert seinen Stein mit großer Andacht.
Unbeeindruckt von jeder religiösen Handlung wartet Clara, bis die anderen mit dem »ganzen Theater« fertig sind, und beobachtet den wankenden Claude, der sich langsam wieder von seinem selbstmörderischen Besäufnis erholt.
Ramzi flüstert Said ins Ohr: »Ich hab ’nen Stein hingelegt, weil das ’n bisschen so is wie das Steinewerfen in Mina, nach der Umrundung der Kaaba.«
»Tja, irgendwie ähnelt sich alles, siehst du?«
Kurz darauf hören die Pilger eine Glocke.
Guy: »Das ist der alte Irre im Refugium von Manjarín.«
Aus dem Nebel taucht eine primitive Pilgerherberge auf.
In der Tür steht ein Mann und läutet eine Glocke, er ruft die Pilger zum Essen.
Guy warnt: »Hier bekommt man einen Schweinefraß.«
Niemand hat Lust, Rast zu machen, außer Claude.
»Ich gehe rein, ich habe Durst.«
Pierre baut sich vor ihm auf. »Nein, du gehst da nicht rein.«
»Und warum nicht?«
»Weil das nicht gut für dich ist.«
»Na und?«
»Und! Du gehst da nicht rein!«
»Aber... Was ist denn in dich gefahren?«
Pierre antwortet nicht, er geht einfach weiter.
Clara nimmt Claude am Arm und zerrt ihn mit sich fort.
Zur Überraschung aller lässt sich Claude gutmütig mitziehen.
Der alte Irre bleibt mit seiner Glocke allein.
Die Gruppe kommt durch El Acebo, ein weiteres verlassenes Nest. Niedrige Häuser, Holzbalkone, eine einzige Straße, die früher auch als Abwasserkanal diente. Eine Häuserreihe rechts, eine links, dahinter steile Berge. Triste Schönheit.
Erschöpft und niedergeschlagen fragen die Pilger, wie weit es denn noch sei. Sie haben den Eindruck, diese feuchte Bergetappe nimmt kein Ende, auch wenn das Ziel nur noch wenige Tageswanderungen entfernt ist.
Hundert Kilometer vor Santiago de Compostela bevölkert sich der Jakobsweg mit ganzen Scharen von Pilgern, Radfahrern und Touristen, die sich auf dem kürzesten Weg in Santiago ihre »Compostela« abholen wollen.
Diese Compostela, ein Pilgerzeugnis auf Latein, wird im Pilgerbüro denjenigen ausgestellt, die mindestens hundert Kilometer gewandert oder zweihundert Kilometer bis Santiago geradelt sind, was sie mit den jeweiligen Stempeln im Pilgerausweis belegen müssen.
Um die berühmte Urkunde zu bekommen, muss man den Verantwortlichen im Pilgerbüro zudem versichern, dass man den Jakobsweg aus religiösen Gründen gegangen ist. Wer nicht gläubig und auch noch so dumm ist, dies laut zu sagen, guckt in die Röhre.
Doch wenn man lügt und erklärt, man habe sich aus religiöser Überzeugung auf den Pilgerweg begeben, bekommt man, was man will.
Wer sich in Spanien um eine Arbeitsstelle bewirbt, wird von gewissen Unternehmen gefragt, ob er den
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