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Pilgern auf Französisch

Pilgern auf Französisch

Titel: Pilgern auf Französisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coline Serreau
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Jakobsweg gegangen sei, und bei der Bewerberauswahl ist die Compostela ein Bonus. Daher herrscht auf den letzten hundert Kilometern vor Santiago ein überaus reger Verkehr.
    Die Gruppe kommt schließlich zum Monte do Gozo, zum »Berg der Freude«, so genannt, weil man früher von dieser Stelle aus Santiago mit seinen moosbedeckten Kirchtürmen zum ersten Mal sah.
    Im Mittelalter war Galicien das Ende der damals bekannten Welt, das Land, das sich am weitesten ins Meer hinausschob. Man kann sich vorstellen, wie die Pilger sich freuten, wenn sie nach wochenlangem gefährlichem Marsch endlich mitten in Feld und Hain die goldene Silhouette der Spitztürme der Kathedrale entdeckten.
    Doch der Berg der Freude hat sich in eine grauenerregende Stätte verwandelt, wo völlig unbegabte Künstler zu Ehren von Johannes Paul II. ein Denkmal aufgestellt haben, das an Scheußlichkeit kaum zu überbieten ist und dessen Anblick auch den kleinsten Funken Freude auslöscht.
    Heute kann man Santiago von dort aus nicht mehr sehen, dafür fällt der Blick auf ein lagerartiges kommunales Herbergsareal, und es gibt wie in allen Städten der Welt Vorstadt-Betonburgen, so weit das Auge reicht.
    Guy: »Dies ist also der Monte do Gozo. Hier gerieten einst die Pilger außer sich vor Freude, wenn sie endlich Santiago de Compostela sahen, sie schrien: >Ultreia et suseia!< — höher und weiter. Und dieses Ding da wurde anlässlich des Papstbesuchs errichtet. Die Herberge liegt gleich hier unten.«
    Ramzi: »Is das Santiago? Is das hier das Ziel der Pilgerreise? Sind wir angekommen?«
    Guy: »Ja, wir sind angekommen.«
    Ramzi platzt fast vor Freude.
    Alle außer den vier Jüngsten der Gruppe gehen hinunter zur Herberge.
    Ramzi klettert auf das Papstdenkmal, streckt die Hand zum siegreichen V-Zeichen aus und schreit:
    »Ultreia, suseia! Wir hamm’s geschafft, wir sind da, wir sind in Santiago. Wir hamm’s zu Fuß geschafft, wir sind die Stärksten! Viva! Said, ruf meine Mutter an, sag ihr, dass ich lesen kann und dass wir in Santiago-Mekka angekommen sind. Allahu akbar! Allahu akbar!«
    Said bittet Elsa um ihr Handy, um Ramzis Mutter anzurufen. Es gibt ein Netz, aber Elsa hat vergessen, den fast leeren Akku in der letzten Herberge aufzuladen.
    Elsa und Camille klettern zu Ramzi hinauf.
    Said wählt die Nummer.
    »Hallo?... Ach?... Ich bin Said... Ja... Ich rufe... von weit her an... Kann ich Ramzis Mutter sprechen?«
    Jemand antwortet.
    Saids Gesicht fällt zusammen, er lauscht und bringt kein Wort mehr heraus. Piep-piep. Der Akku ist leer, die Verbindung unterbrochen.
    Ramzi und die Mädchen kommen zurück. Wie betäubt gibt Said das Handy an Elsa zurück.
    Ramzi: »Gib mir mal meine Mutter, nun gib sie mir schon!«
    »Das geht nicht, der Akku ist leer, wir rufen von der Herberge aus an...«
    Glücklich hüpft Ramzi zur Herberge hinab.
    Camille sieht, dass es Said gar nicht gutgeht.

    Die Gruppe durchquert den riesigen Ferienkomplex, in dem zweitausend Menschen Platz finden — eine Bruchlandung inmitten der Freuden der »freien Welt«: ein asphaltierter Platz, Souvenirstände, Waschsalons, Fast-Food-Ketten, Selbstbedienungsrestaurants und Ticketautomaten.
    Ein schachtelartiger Fertigteilbau nach dem anderen. Dort schlafen die Pilger.
    Null Poesie, Kommerz total.
    Da sehen sie von Weitem die drei Holländer auf sich zukommen, die sie einige Wochen zuvor auf dem Weg getroffen haben. Pierre bleibt unvermittelt stehen.
    »Sind das nicht die drei Schnarchnasen aus Holland?«
    Guy: »Ja... ja, ich glaube schon.«
    Pierre: »Also hier schlafe ich nicht, nicht mit denen!«
    Guy: »Vielleicht schlafen wir ja gar nicht mit ihnen im selben Saal.«
    Pierre: »Nein, nein! Ich lasse mich auf nichts ein. Ich lade euch alle in den Parador von Santiago ein. Wir müssten dann zwar noch anderthalb Stunden marschieren, aber ich verbringe keine solche albtraumhafte Nacht mit diesen Leuten mehr. Kommt gar nicht infrage!«
    Allgemeine Begeisterung bei der Vorstellung, in die Badewannen des Paradors einzutauchen.
    Die Holländer kommen näher, sie erkennen ihre Freunde wieder, mit denen sie in jener Gewitternacht im Schulhaus ein verrücktes Fest gefeiert haben, und stürzen sich auf sie, sie nehmen sie in die Arme und schlagen ihnen kräftig auf den Rücken. Die Gruppe begrüßt die drei herzlich, Pierre heuchelt und gibt sich besonders liebenswürdig, er reißt die Arme hoch, um seine Freude zu zeigen: Ha, da seid ihr ja endlich wieder, ihr seid ja so nett!
    Dann

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