Pilgerspuren: Palzkis siebter Fall (German Edition)
Erfinder
lachte, während wir in seine Wohnung gingen.
»Das wäre
in den letzten 20 Jahren das erste Mal, dass du mich grundlos besuchst.«
Jacques
hatte mich mal wieder ertappt. Er nahm mir das aber nicht übel, wusste er doch,
dass sein Rat gefragt war.
Seit Jahrzehnten
war die Inneneinrichtung des Hauses unverändert. Die psychedelischen Großmustertapeten,
das vermutlich letzte Wählscheibentelefon Europas bis hin zu den Prilblumen an den
Küchenfliesen zeugten von längst vergangenen Zeiten. Einen harten Kontrast dazu
bildeten seine Laborgerätschaften, die er übergangsweise im Wohnzimmer aufgebaut
hatte.
Jacques
und ich gingen in die Küche, den einzigen Raum, in dem man gewöhnlich noch ein kleines
Sitzplätzchen finden konnte.
Der Erfinder
zappelte aufgeregt auf seinem Stuhl herum. »Was gibt’s dieses Mal, Reiner? Wann
geht’s los?«
»Langsam,
mein Freund. Woher willst du wissen, dass es etwas für dich zu tun gibt? Vielleicht
wirst du gleich enttäuscht sein. An welchen Erfindungen forscht du eigentlich zur
Zeit?«
»Ach, nichts
Weltbewegendes«, winkte er bescheiden ab. »Gerade habe ich den Prototyp eines 4D-Nachfolgesystems
für die Holografie fertiggestellt. Im Moment forsche ich nach lebensverlängernden
Substanzen.«
»Lebensverlängernde
Substanzen? Wie soll ich das verstehen? Funktioniert das?«
Er zuckte
mit den Schultern. »Ich habe erst letzte Woche damit angefangen. Es gibt noch so
viel für mich zu erfinden, da brauche ich noch das eine oder andere Jahrhundert
Lebenszeit. Einen Stoff habe ich bereits extrahieren können, der sich positiv auf
die Lebenszeit auswirken könnte. Vielleicht kann ich daraus Tabletten herstellen.«
»Ist die
Substanz gefährlich?«, fragte ich neugierig.
»Ach was,
den Grundstoff kann man in jedem Supermarkt kaufen.«
»Und? Welcher
ist es?«
Jacques
drehte sich um und zog einen Topf von der Herdplatte.
»Rosenkohl«,
meinte er, und ich wusste schlagartig, was für ein unangenehmer Geruch schon die
ganze Zeit in der Luft hing.
»Magst du
mitessen? Schmeckt echt lecker.«
Unter Einsatz
größter Körperbeherrschung verneinte ich sein Angebot. Jacques stellte den Topf
zurück.
»Jetzt erzähl
schon«, bettelte mein Freund. »Es sind gerade Ferien, da habe ich viel Zeit.«
»Ferien?«,
fragte ich überrascht. »Du sprichst in Rätseln. Ferien kennen nur Lehrer.«
Jacques
lachte kurz auf.
»Das A und
O ist eine ordentliche Bildung. Dies habe ich schon seit Langem erkannt. Daher biete
ich dem Schulzentrum in Schifferstadt meine Kurse an.«
»Du machst
was?« Ich dachte an meine Schulzeit und die vielen Streiche, deren gelungene Durchführung
ich ganz alleine Jacques zu verdanken hatte.
»Weißt du
das nicht? Ich unterrichte seit Beginn des Schuljahres für die Schüler eine AG,
immer donnerstagmittags. Jede Woche werden es mehr Schüler, daher darf ich meine
Experimente inzwischen in der Aula machen.«
»Was für
Experimente?«
»Was man
halt in einer Physik-AG so macht. Zur Zeit baue ich mit den Schülern einen kleinen
Atomreaktor.«
Machte Jacques
einen Witz? Nein, das wäre untypisch für ihn.
»Ist das
nicht ziemlich gefährlich?«
»Ach wo,
ich muss nur aufpassen, dass immer zwei oder drei Eimer Wasser für den Notfall daneben
stehen. Die gefährlichen Stoffe lagere ich ausschließlich im Lehrerzimmer zwischen.
Außerdem messe ich regelmäßig die Strahlungen mit meinem Bosco-Meter.«
»Du meinst
wohl Geiger-Zähler?«
»Mein Bosco-Meter
ist eine Weiterentwicklung. Es gibt da ein paar äußerst gefährliche Strahlen, die
noch ihrer offiziellen Entdeckung harren, und die sehr schlecht für den menschlichen
Organismus sind.«
»Und was
bewirken diese Strahlen?«
»Sodbrennen«,
antwortete Jacques knapp.
Boah, das
war ja wirklich ein Ding.
»Dann kommt
mein Sodbrennen gar nicht von den Süßigkeiten und dem Fast Food?«
»Davon kannst
du ausgehen, die verdammten Strahlen sind schuld. Du kannst also wieder beruhigt
zubeißen. Dass Magengeschwüre von Bakterien verursacht werden, weiß man auch noch
nicht so lange.«
Mit einem
Schlag wurde mir klar, warum Jacques vor ein paar Monaten ergebnislos nach einem
Mittel gegen Sodbrennen geforscht hatte. Es war das erste Mal, dass er erfolglos
geblieben war. Nach der Entdeckung der Sodbrennenstrahlen hatte er sich nun selbst
rehabilitiert.
Langsam
leitete ich auf mein Anliegen über und erzählte Jacques die ganze abstruse Geschichte,
die sich in der letzten Woche zugetragen hatte.
Mein
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