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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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verbotenen Zone erfolgt war, was eine unangenehme Unterhaltung vor der Disziplinarkommission beim Tribunal für Raumfahrt nach sich ziehen würde. Gewiß, die Entdeckung dieses Raumkörpers wog schwerer als eine Ermahnung der Kommission, vielleicht sogar schwerer als eine Strafe, aber nur dann, wenn man das Gebilde auch wirklich einholte. Das jedoch schien mir hoffnungslos. Ich hätte nämlich verlangen müssen, in ein doppelt gefährdetes Gebiet – in die Zone der Ekliptik, die auch noch von einem hyperbolischen Schwarm heimgesucht wurde – eine ganze Flottille von Schiffen zur Suche zu entsenden. Der Koordinator auf Luna hatte gar nicht das Recht, dies zu veranlassen, selbst wenn er wollte. Und wenn ich mich auf den Kopf gestellt hätte und bis zum Morgen die COSNAV der Erde, die Internationale Kommission für Fragen der Raumforschung und weiß der Teufel wen sonst noch angerufen hätte – bestenfalls würden dann Beratungen und Sitzungen beginnen, und schließlich fiele, wenn es blitzschnell ginge, schon nach etwa drei Wochen eine Entscheidung. Aber inzwischen befände – ich überschlug das noch im Lift, in dieser Nacht dachte ich wirklich sehr schnell –, inzwischen befände sich jenes Raumschiff in einer Entfernung von hundertneunzig Millionen Kilometern vom Begegnungsort, also jenseits der Sonne, an der es genügend dicht vorbeifliegen würde, daß sie seine Trajektorie ablenken würde; folglich würde der Raum, in dem man es suchen müßte, mehr als zehn Milliarden Kubikkilometer umfassen. Vielleicht sogar zwanzig.
    So stellten sich mir die Dinge dar, als ich die Funkstation erreichte. Ich setzte mich und versuchte noch abzuschätzen, wie groß die Chance war, das Raumschiff mit Hilfe des Radioteleskops der Luna auszumachen, der gewaltigsten radioastronomischen Einheit des ganzen Systems. Doch Erde und Mond befanden sich gerade auf der entgegengesetzten Seite der Umlaufbahn, das heißt von mir aus und damit auch von diesem Raumschiff aus gesehen. Das Radioteleskop war gewaltig, aber wiederum nicht so gewaltig, daß man aus einer Entfernung von vierhundert Millionen Kilometern einen Körper dieser Größe beobachten könnte.
    Und das war das bedauerliche Ende dieser ganzen Geschichte. Ich zerriß die Zettel mit den Berechnungen, stand auf und ging still in die Kajüte mit dem Gefühl, ein Verbrechen begangen zu haben. Wir hatten einen Gast aus dem Kosmos, einen Besuch, der sich – was weiß ich – einmal in Millionen, nein, in Hunderten von Millionen Jahren ereignet, und wegen des Ziegenpeters, wegen Le Mans, wegen dessen Wracks, wegen des betrunkenen Mestizen, des Ingenieurs und seines Schwagers und wegen meiner Nachlässigkeit war es uns durch die Finger geglitten, um sich im unendlichen Raum aufzulösen wie ein Geist. Seit dieser Nacht lebte ich zwölf Wochen lang in einer seltsamen Anspannung – danach mußte das leblose Raumschiff in das Gebiet der großen Planeten eindringen und war damit ein für allemal für uns verloren. Ich verließ, soweit ich das einrichten konnte, nicht mehr den Funkraum, und allmählich schwand die Hoffnung, daß ihn doch noch jemand entdecken würde, jemand, der geistesgegenwärtiger war als ich oder der einfach mehr Glück hatte. Doch nichts dergleichen geschah. Selbstverständlich sagte ich niemandem etwas davon. Die Menschheit hat nicht oft solche Gelegenheiten. Ich fühle mich schuldig nicht nur ihr gegenüber, sondern auch gegenüber jenen anderen; und mich erwartet nicht einmal Herostratos-Ruhm, denn jetzt, nach so vielen Jahren, würde mir zum Glück niemand mehr glauben. Im übrigen kommen mir selber auch manchmal Zweifel: vielleicht war mir nur das kalte, schwerverdauliche Büchsenrindfleisch auf den Magen geschlagen.

 
    Die Verhandlung
     
    »Zeuge Shennan Quine!«
    »Hier, Kommandant!«
    »Sie sind Zeuge in einem Verfahren, das vor dem Tribunal der Kosmischen Kammer stattfindet. Bitte gebrauchen Sie die Anrede Vorsitzender, wenn Sie mit mir sprechen, und nennen Sie die Mitglieder dieses Tribunals Richter. Sie haben unsere Fragen unverzüglich zu beantworten, die Fragen der Anklage und der Verteidigung hingegen nur mit Erlaubnis des Tribunals. In Ihren Aussagen dürfen Sie sich einzig und allein auf das berufen, was Sie selbst gesehen haben oder aus eigener Erfahrung wissen, und nicht auf etwas, was Sie von dritten Personen gehört haben. Hat der Zeuge die Belehrung verstanden?«
    »Ja, Herr Vorsitzender.«
    »Name und Vorname des Zeugen: Shennan

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