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Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sicherlich hatte er Monate gereicht ... Der Lebensmittelvorrat ebenfalls ... Terminus lag also unter den Trümmern ... Halt, Moment mal – die Schwerkraft fehlte doch! Was hatte ihn stillgelegt? Die Kälte wohl ... Er konnte sich nicht bewegen, denn bei der niedrigen Temperatur gerann ihm das Öl in den Gelenken ... Die hydraulische Flüssigkeit gefror, sprengte die Leitungen ... Übrig blieb nur das Elektronengehirn, es hatte alles vernommen, hatte die Klopfzeichen, die immer schwächer wurden, festgehalten, hatte sich alles gemerkt, als ob es erst gestern geschehen wäre. Und Terminus selbst ... Ahnt er nichts? Wie das? Weiß er wirklich nicht, daß die Morsezeichen den Rhythmus seiner Arbeit bestimmen? Lügt er? Nein – Automaten lügen nicht ...
    Die Müdigkeit überschwemmte Pirx wie schwarzes Wasser. Vielleicht sollte ich gar nicht hinhören, dachte er. Es war ihm unerträglich, immer wieder diesen Todeskampf mitzuerleben und jede furchtbare Einzelheit, jede Phase, jedes Signal zu analysieren, das Flehen um Sauerstoff, das Schreien. Man darf das nicht tun, wenn man nicht helfen kann ..., sagte er sich. Bleiern senkte sich der Schlaf auf ihn, er war keines Gedankens mehr fähig, nur seine Lippen formten stumm, als widerspräche er jemandem: »Nein ... Nein ... Nein ...«
    Dann war nichts mehr.
    In völliger Dunkelheit fuhr er hoch. Er wollte sich im Bett aufsetzen, aber die festgeschnallte Decke gab nicht nach. Tastend löste er die Gurte, schaltete das Licht ein.
    Die Triebwerke arbeiteten. Pirx warf sich den Mantel über und machte ein paar Kniebeugen, um den Grad der Beschleunigung zu schätzen. Sein Körper wog gut hundert Kilo. Anderthalb g etwa, konstatierte er. Die Rakete vollführte eine Wendung, deutlich war das Vibrieren zu spüren. Die Wandschränke knackten warnend, eine Tür öffnete sich mit ärgerlichem Krächzen, Kleidungsstücke, Schuhe – alle Gegenstände, die nicht befestigt waren, rutschten in Richtung Heck, urplötzlich belebt, als verbinde sie ein geheimes Streben.
    Pirx trat an das Schränkchen des Interkoms und öffnete es. Drinnen stand ein Apparat, der einem altmodischen Telefon ähnelte.
    »Steuerraum!« rief er in den Hörer. Die Kopfschmerzen waren so heftig, daß er beim Klang seiner Stimme zusammenzuckte.
    »Erster. Was ist?«
    »Kurskorrektur«, antwortete der Pilot wie aus weiter Ferne. »Wir haben eine kleine Abweichung.«
    »Wie groß?«
    »Sechs ... Nein, sieben Sekunden.«
    »Was macht die Säule?« fragte Pirx vorsichtig.
    »Sechshundertzwanzig im Mantel.«
    »Und in den Laderäumen?«
    »In den Bordräumen je zweiundfünfzig, in den Kielräumen siebenundvierzig, in den Heckräumen neunundzwanzig und fünfundfünfzig.«
    »Welche Abweichungen hatten wir, Munro? Wieviel sagten Sie?«
    »Sieben Sekunden.«
    »Na schön.« Pirx warf den Hörer auf die Gabel. Er wußte, daß der Pilot log. Für eine Korrektur von sieben Sekunden hätte es nicht einer solchen Beschleunigung bedurft. Er schätzte die Kursabweichung auf mehrere Grad.
    Diese Hitze in den Laderäumen ..., dachte er. Möchte wissen, was sie im Heck untergebracht haben ... Etwa Lebensmittel? Er setzte sich an den Schreibtisch.
    »Blauer Stern« Terra-Mars an Kompo Erde – Erster Offizier an Reeder – Reaktor erhitzt Ladung – Bezeichnung des im Heck gefährdeten Ladeguts fehlt – Erbitte Hinweise – Pirx, Navigator – Ende.
    Pirx schrieb noch, als die Triebwerke bereits verstummt waren und die Schwerkraft schwand. Er drückte mit dem Bleistift auf, und das genügte, um im wahrsten Sinne des Wortes in die Luft zu gehen. Verärgert stieß er sich von der Decke ab, landete wieder im Sessel und überflog noch einmal den Text des Funkspruches.
    Er überlegte eine Weile, zerriß dann das Formular und stopfte die Fetzen in die Schublade. Die Müdigkeit hatte er verscheucht, die Kopfschmerzen waren geblieben. Anziehen wollte er sich nicht, denn das wäre bei der fehlenden Schwerkraft zu einer komplizierten Prozedur geworden, zu wankenden Sprüngen, zu einem Ringkampf mit den einzelnen Kleidungsstücken. So, wie er war, den Mantel über dem Pyjama, verließ er die Kajüte.
    Im bläulichen Licht der Nachtlampen fiel einem der klägliche Zustand der Beschläge nicht so sehr ins Auge. Pirx hörte die Ventilatoren fauchen, er sah den Schmutz, der von den schwarzen Schlünden angesogen wurde wie von einem Strudel. Es war still im »Blauen Stern«, absolut still. Pirx hing nahezu regungslos über seinem eigenen Schatten,

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