Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
der sich schräg an der Wand abzeichnete, er lauschte und hielt die Augen geschlossen. Es kam vor, daß Menschen in dieser Haltung einschliefen, aber das war gefährlich, denn sie konnten auf den Fußboden oder gegen die Decke geschleudert werden, sobald die Triebwerke eingeschaltet wurden.
    Pirx hörte die Ventilatoren nicht mehr, nicht einmal das Pochen seines Herzens. Ihm war, als könne er die nächtliche Stille, die im Raumschiff herrschte, von jeder anderen unterscheiden. Auf der Erde spürt man die Begrenztheit der Stille, ihre Endlichkeit, ihren Augenblickscharakter. Inmitten der Monddünen aber trägt der Mensch sein eigenes kleines Schweigen mit sich herum, das im Innern des Skaphanders gefangen ist. Jedes feine und feinste Geräusch schwillt ins Riesenhafte an – das Knirschen der Gurte, das Knacken der Gelenke, der Pulsschlag, ja sogar der Atem. Das Schiff verliert sich im eisigen Nichts der Finsternis.
    Pirx führte die Uhr an die Augen – es war gegen drei.
    Wenn das so weitergeht, mach ich schlapp, dachte er. Er stieß sich von der gewölbten Trennwand ab, breitete die Arme aus und landete wie ein Vogel, der seine Geschwindigkeit bremst, auf der Schwelle der Kajüte. Aus der Ferne erreichte ihn, wie aus einem eisernen Erdinnern, ein kaum spürbarer Laut.
    Bang – bang – bang.
    Drei Klopfzeichen.
    Fluchend schlug er die Tür zu und warf gedankenlos den Mantel ab. Das Kleidungsstück bauschte sich auf und schwebte wie ein riesiges Gespenst davon. Er löschte das Licht, legte sich hin, bedeckte den Kopf mit einem Kissen und schloß die Augen. »Idiot! Verdammter eiserner Idiot!« murmelte er vor sich hin. Er zitterte vor Wut, konnte sich aber deren Ursache nicht erklären. Die Erschöpfung überwältigte ihn, im Nu war er eingeschlafen.
    Als er die Augen aufschlug, war es gegen sieben. Benommen hob er die Hand – sie fiel nicht herab. Er zog sich an, stieß sich ab, schwebte hinaus. Draußen auf dem Gang lauschte er unwillkürlich. Es war still. Im Steuerraum herrschte Halbdunkel, grünliche Lichtreflexe spielten auf den Radarschirmen. Der Pilot lag weit zurückgelehnt im Sitz und rauchte, der Qualm hing in Schwaden vor den Bildschirmen und verfärbte sich in ihrem Licht. Ein leises Klimpern war zu hören, irgendeine irdische Melodie, die ab und zu von kosmischen Geräuschen übertönt wurde. Pirx ließ sich auf den Sitz hinter dem Piloten gleiten. Er hatte nicht einmal das Verlangen, die Werte des Schweremessers abzulesen.
    »Wann geben Sie Schub?« erkundigte er sich.
    Der Pilot erriet den Grund der Frage. »Um acht. Aber wenn Sie baden möchten, kann ich auch gleich anfangen – mir ist das einerlei.«
    »Ach was. Halten wir uns lieber an das Programm.«
    Sie schwiegen. Der Lautsprecher summte immer wieder dasselbe Motiv. Pirx kämpfte mit dem Schlaf. Hin und wieder schrak er auf, nickte aber gleich wieder ein. Große grüne Katzenaugen traten aus der Finsternis, er blinzelte – sie verwandelten sich in beleuchtete Skalen. So dämmerte er halb wachend, halb träumend vor sich hin, bis der Lautsprecher zu krächzen begann.
    »Hier spricht Dejmos. Es ist sieben Uhr dreißig. Wir senden unser tägliches Meteoritenkommunique für die innere Zone. Unter dem Einfluß des Schwerefeldes des Mars ist im Schwarm der Drakoniden, der die Gürtelzone verlassen hat, eine Randstörung entstanden. Sie wird heute die Sektoren 83, 84 und 87 kreuzen. Von der Meteoritenstation des Mars wird die Wolke auf vierhunderttausend Kubikkilometer geschätzt. In diesem Zusammenhang werden die Sektoren 83, 84 und 87 bis auf Widerruf für alle Flüge gesperrt. Wir geben jetzt die Zusammensetzung der Wolke bekannt, wie sie von den ballistischen Sonden des Phobos übermittelt worden ist. Nach neuesten Meldungen besteht die Wolke aus Mikrometeoriten der Klasse X, XY, Z ...«
    »Betrifft uns nicht ... Ein Glück!« sagte der Pilot. »Würde uns schlecht bekommen, wenn ich alles in die Düsen jagen müßte ... Habe eben erst gefrühstückt!«
    »Wieviel haben wir?« fragte Pirx. Er löste sich vom Sitz.
    »Mehr als fünfzig.«
    »Wirklich? Nicht übel.«
    Pirx begab sich zur Messe. Vorher kontrollierte er noch rasch den Kurs, die Uranographen und die Intensität der Durchlässigkeit – sie war konstant. In der Messe drehte sich das Gespräch wider Erwarten nicht um den nächtlichen Lärm, sondern um Lottozahlen. Sims schien mit Ungeduld auf die nächste Ziehung zu warten, er wurde nicht müde, von angeblichen Gewinnen seiner

Weitere Kostenlose Bücher