Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
eins auszuwischen, den er nicht offen anzugreifen wagte.
    Jetzt war eine Kraftprobe im Gange, und derjenige, der sich als erster anmerken ließe, daß er um Aniels Schicksal bangte, hätte sich gewissermaßen eine Blöße gegeben. Im übrigen spürte Pirx, daß auch er in diesen sinnlosen und zugleich harten Kampf hineingezogen worden war, der hier in aller Stille ausgetragen wurde. Er überlegte, was er unternehmen würde, wenn er der Leiter der Gruppe wäre. Im Augenblick vermutlich herzlich wenig, denn in einer Nacht wie dieser war es nicht möglich, eine Suchaktion zu starten. Sie mußten ohnehin bis zum Morgen warten, sie hätten es höchstens noch über Funk versuchen können, aber auch da bestand nur eine minimale Erfolgschance, denn der UKW-Bereich war in dem unübersichtlichen bergigen Gelände nicht sonderlich groß. Bisher hatten sie den Roboter noch nie allein ausgeschickt – die Dienstordnung verbot das zwar nicht, sicherte ein derartiges Vorhaben jedoch durch eine Unmenge verklausulierter Paragraphen ab. Aber Dienstordnung hin, Dienstordnung her – Pirx war der Ansicht, Massena könnte immerhin versuchen, den Roboter über Funk zu rufen, statt die angebrannten Reste aus der Konservenbüchse zu kratzen und einem damit die letzten Nerven zu rauben. Wie wäre es, wenn er die Sache in die Hand nähme, er selbst, Pirx? Irgendwas mußte schließlich geschehen. Konnte sich ein Roboter das Bein brechen? So was war ihm noch nie zu Ohren gekommen.
    Er stand auf, trat an den Tisch, und während er die heimlichen, scheinbar gleichgültigen Blicke der anderen auf sich ruhen fühlte, studierte er aufmerksam die Karte, auf der Krull am Morgen die Marschroute für Aniel eingezeichnet hatte. Wirkte das vielleicht, als wolle er dem Expeditionsleiter auf die Finger sehen? Er hob ganz plötzlich den Kopf und begegnete Krulls Augen – Krull tat gerade den Mund auf, um etwas zu sagen, aber als ihn der schwere, kalte Blick von Pirx traf, räusperte er sich nur und beugte sich wieder über seine Papiere. Pirx mußte ihn ordentlich angeblitzt haben, allerdings nicht bewußt, nein – in derlei Situationen erwachte etwas in ihm, was ihm schon an Bord seines Raumschiffes einen mit Furcht gemischten Respekt eingetragen hatte.
    Er legte die Landkarte beiseite. Die Route führte zu einer hohen Felswand mit drei schroffen Abstürzen, aber der Weg ging daran vorbei. Hatte der Roboter etwa versagt? Unmöglich!
    Aber man kann sich doch in jeder gewöhnlichen Felsspalte den Fuß verstauchen, durchfuhr es Pirx. Nein, Unsinn. Roboter wie Aniel überstanden selbst einen Sturz aus vierzig Meter Höhe, die waren noch ganz andere Dinge gewöhnt und hatten etwas Besseres als ein paar morsche Knochen. Was zum Teufel war also passiert?
    Er richtete sich auf und musterte aus seiner stattlichen Höhe zuerst Massena, der grimassenschneidend und pustend seinen heißen Tee schlürfte, dann Krull. Darauf kehrte er den beiden ostentativ den Rücken und ging in den kleinen Schlafraum hinüber, wo er entschieden zu heftig sein Faltbett aus der Wand zerrte, und kroch, nachdem er sich mit vier geübten Handgriffen die Sachen vom Leib gerissen hatte, in den Schlafsack. Er wußte, daß er nicht so schnell Schlaf finden würde, aber für heute hatte er genug von den beiden. Womöglich hätte er ihnen noch ein paar Takte erzählt, wenn er länger mit ihnen zusammengeblieben wäre, aber da sie sich am andern Tag ohnehin an Bord der »Ampere« trennen sollten, konnte er sich das wirklich sparen. In dem Moment, da sie den Fuß auf das Deck des Raumschiffes setzen würden, hörte die Operationsgruppe des Jota des Wassermanns auf zu bestehen.
    Allerlei wirres Zeug gaukelte schon vor seinen Augen, silbrige Streifen glitten unter seinen Lidern dahin, flaumige Lichtkreise schläferten ihn ein, er wendete noch sein Kissen, weil es auf der anderen Seite kühler war – da stand plötzlich Aniel greifbar nahe vor ihm, so wie er ihn zum letztenmal gesehen hatte, frühmorgens, kurz vor acht. Massena lud ihm gerade die Rückstoßpatronen auf, mit deren Hilfe man mehrere Minuten lang durch die Luft segeln konnte, den Gesetzen der Gravitation zum Trotz. Von diesen Dingern machten übrigens alle Gebrauch, natürlich nur in den Fällen, die das in jeder Hinsicht strenge Reglement vorsah. Es war ein merkwürdiger Anblick – wie immer, wenn ein Mensch einem Roboter half, weil die Sache ja normalerweise gerade umgekehrt vor sich ging –, aber Aniel reichte unter dem

Weitere Kostenlose Bücher