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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Fensterchen zeigten sich kleine Zahlen, eine Zeile löste die andere ab: 990 – 900 – 840 – 760 Kilometer ...
    Obwohl Pirx wußte, daß er mit voller Kraft flog, versuchte er den Griff noch weiter zu drücken. Er führte eine Wendung aus, auf engstem Raum, verlor aber trotz alledem an Höhe. Die Zahlen wurden kleiner, obschon langsamer als vorhin. Das Schiff lag immer noch im sinkenden Teil des großen Bogens. Pirx starrte unverwandt auf das Trajektometer.
    Wie immer, wenn sich das Raumschiff in der Gefahrenzone eines Himmelskörpers befand, zeigte die Scheibe des Geräts nicht nur die Flugkurve des Projektils und ihre mutmaßliche, schwach angedeutete Verlängerung, sondern auch das erhabene Profil des Mondes, über dem sich das ganze Manöver abspielte.
    Beide Kurven – die des Fluges und die der Mondoberfläche – liefen fast zusammen. Ob sie sich schnitten?
    Nein. Aber der Bauch dieses Bogens war eine Asymptote. Es stand nicht fest, ob das Schiff dicht über der Scheibe durchschlüpfen – oder aufprallen würde. Das Trajektometer arbeitete mit einer Fehlerabweichung von sieben bis acht Kilometern, und Pirx konnte nicht voraussagen, ob die Kurve drei Kilometer über den Felsen verlaufen würde – oder ...
    Ihm wurde schwarz vor Augen – die 5 g taten ihre Wirkung. Das Bewußtsein verlor er nicht. Er lag da, blind, umspannte die Hebel, fühlte dabei, wie die Amortisatoren des Sitzes allmählich nachgaben. Er glaubte nicht, daß er verloren war. Irgendwie konnte er nicht daran glauben. Er war nicht imstande, die Lippen zu bewegen, also zählte er nur in Gedanken: einundzwanzig – zweiundzwanzig – dreiundzwanzig – vierundzwanzig ...
    Bei fünfzig konnte er sich der Vorstellung nicht erwehren, das sei nun schon der Zusammenstoß – wenn überhaupt, so müßte er nun erfolgen. Trotzdem ließ er die Hebel nicht los. Er wurde schwächer und schwächer ... ein Gefühl der Enge in der Brust, ein Läuten in den Ohren, Blut in der Kehle und in den Augen Schwärze, blutige Schwärze ...
    Die Finger lösten sich von selbst – langsam schob sich der Griff zurück. Pirx hörte nichts, sah nichts. Allmählich wurde es grau um ihn, das Atmen fiel ihm leichter. Er wollte die Augen aufreißen, aber sie waren – sie waren die ganze Zeit über geöffnet gewesen. Nun brannten sie wie Feuer, die Lider waren trocken.
    Er setzte sich auf.
    Der Schweremesser zeigte 2 g an. Auf dem vorderen Bildschirm war nichts zu sehen, nichts als Sternenhimmel. Vom Mond keine Spur. Wo war der Mond geblieben?
    Er lag unten – unter ihm. Pirx hatte den waghalsigen Sturzflug abgefangen, das Schiff war in die Höhe geschossen und entfernte sich nun mit allmählich nachlassender Geschwindigkeit vom Erdtrabanten. In welcher Höhe war er über der Scheibe durchgerutscht? Sicherlich hatte der Höhenmesser das registriert, aber Pirx verspürte keine Lust, ihn nach Daten zu befragen. Nun erst fiel ihm auf, daß das Alarmsignal verstummt war, das die ganze Zeit hindurch gebrummt hatte. Weshalb sie nur so einen Brummton gewählt haben! fragte sich Pirx. Sie hätten lieber eine Kirchenglocke an die Decke hängen sollen. Wenn schon Friedhof, dann auch richtig, mit allem Drum und Dran. Ein leises Summen ertönte – die zweite Fliege! Das Biest lebte! Sie kreiste über der Kapsel. Pirx verspürte einen ekelhaften Geschmack im Mund – er war rauh und schmeckte nach Leder –, das Ende des Sicherheitsgurtes! Er hatte es die ganze Zeit über zwischen den Zähnen gehabt und völlig vergessen.
    Er schnallte den Gurt fest, legte die Hände auf die Hebel – die Rakete mußte auf die richtige Umlaufbahn gebracht werden. Von den beiden JO-Schiffen würde er keine Spur mehr finden, das war ihm klar, aber er mußte ans Ziel gelangen und sich bei Navigationsluna melden. Oder etwa bei Luna Hauptstation, weil er eine Havarie hatte? Weiß der Teufel! Also wieder still sitzen? Ausgeschlossen! Sie werden das Blut bemerken, wenn ich wieder unten bin ... Sogar an der Decke sind rote Spritzer ... Übrigens, der Registrator hat sicherlich alles, was geschehen ist, auf Band festgehalten – alles, die Tücken der Sicherung und den Kampf mit dem Notgriff. Nicht übel, diese AMUs, das muß man schon sagen ... Aber man muß Humor haben, wenn man jemandem solch einen Sarg zumutet ...
    Melden, melden – aber bei wem? Er beugte sich vor, lockerte dabei den Schultergurt und griff nach der Spicke, die unter dem Sitz lag. Warum soll ich eigentlich nicht einen Blick

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