Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
graumelierten Schläfen wollte sich nicht erfüllen. Wenn sich doch wenigstens um die Augen ein paar Fältchen bilden würden, die auf den ersten Blick erkennen ließen, wie mühevoll er, Pirx, nach Kurssternen Ausschau hielt! Aber nicht einmal das war ihm vergönnt, er blieb glatt und pausbäckig wie eh und je. So schabte er sich denn mit der stumpfen Klinge das Kinn, schämte sich seines vollen Gesichts und dachte sich immer gefährlichere Situationen aus, die er samt und sonders meisterte.
    Matters, der diesen Kummer kannte oder zumindest ahnte, riet Pirx, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen. Ob er es ehrlich meinte, ließ sich kaum feststellen – Pirx jedenfalls machte die Probe aufs Exempel. Er hielt sich eines Morgens einen schwarzen Schnürsenkel an die Oberlippe, sah in den Spiegel – und fuhr entsetzt zurück: Er blickte in eine Visage, die noch idiotischer wirkte als vorher. Von Stund’ an begann er an Matters zu zweifeln, obwohl gar nicht erwiesen war, daß er es böse gemeint hatte. Matters’ hübsche Schwester konnte man erst recht keine Böswilligkeit nachsagen, und dennoch hatte es Pirx den Rest gegeben, als sie einmal zu ihm sagte, er sehe »sehr, sehr rechtschaffen« aus. In dem Lokal, in dem sie tanzten, geschah zwar nichts von dem, was Pirx befürchtet hatte. Nur einmal verwechselte er einen Tanz, aber seine Partnerin war taktvoll genug, das mit Schweigen zu übergehen. Als er schließlich merkte, daß die übrigen Paare etwas ganz anderes tanzten, korrigierte er sich und gab sich Mühe, ernst und würdig dreinzuschauen, denn er wußte, daß sich die Menschen auf der Straße umdrehten, wenn er grinste. Abends brachte er sie nach Hause. Von der letzten Haltestelle hatten sie noch ein gutes Stück zu laufen. Pirx zermarterte sich das Hirn, er wollte irgend etwas tun, um ihr zu beweisen, daß er gar nicht so »sehr, sehr rechtschaffen« sei, aber ihm fiel nichts Passendes ein. Da er so intensiv nachdachte, blieb er stumm wie ein Fisch, und je länger er schwieg, desto peinlicher erschien ihm die Situation. In seinem Kopf herrschte eine Leere, die sich nur insoweit vom kosmischen Vakuum unterschied, als sie von verzweifeltem Bemühen ausgefüllt war. Im letzten Augenblick kamen ihm mehrere Einfälle auf einmal, sie durchfuhren ihn wie Meteore. Er wollte sich mit ihr verabreden, wollte sie küssen, wollte – er hatte das irgendwo gelesen – ihre Hände drücken, zärtlich, gefühlvoll, zugleich aber leidenschaftlich und sinnlich ... Aber daraus wurde nichts. Er küßte sie nicht, verabredete sich nicht mit ihr, reichte ihr auch nicht die Hand ... Ach, wenn es wenigstens dabei geblieben wäre! Als sie ihm nämlich mit ihrer angenehm kehligen Stimme »Gute Nacht« wünschte, sich abwandte und die Türklinke ergriff, erwachte in ihm der Teufel. Möglich, daß er ihre Ironie spürte, möglich, daß er sich diese Ironie nur einbildete – jedenfalls ... Als sie sich umwandte, gelassen, selbstbewußt und königlich, wie es sich bei hübschen Mädchen von selbst versteht ...
    ... nun gut, als sie sich umwandte, hatte er ihr diesen Klaps aufs Gesäß gegeben, einen recht derben Klaps, nebenbei bemerkt. Was dann kam, ging rasend schnell. Sie stieß einen kleinen Schrei aus vor Überraschung, und er, er machte kehrt und nahm Reißaus, als sei ihm jemand auf den Fersen. Tags darauf pirschte er sich an Matters heran wie an eine Zeitzünderbombe, aber der Freund wußte überhaupt nichts von dem Vorfall.
    Pirx hätte nicht sagen können, wie es dazu gekommen war. Er hatte sich halt nichts dabei gedacht – das war ihm leider schon immer leichtgefallen. Aber handelte so ein »rechtschaffener Mann«?
    Er war sich nicht ganz sicher, aber er befürchtete, daß es wohl an dem sein müsse. Nach der Geschichte mit Matters’ Schwester – er mied das Mädchen fortan wie der Teufel das Weihwasser – hörte er auf, Grimassen vor dem Spiegel zu schneiden. Es war ihm peinlich, wenn er daran dachte, wie er mit zwei Spiegeln herumhantiert hatte, um sein Profil zu begutachten. Über die Lächerlichkeit solch äffischer Grimassen war er sich im klaren, andererseits hatte er aber gar nicht nach Schönheit gesucht, sondern nach Charakter – nach Charakter, jawohl! Er las nämlich Conrad, und wenn er mit vor Eifer geröteten Wangen an das große Schweigen der Milchstraße dachte, an einsame Tapferkeit – da drängte sich ihm jedesmal die gleiche Frage auf: Kann man sich einen Helden der ewigen Nacht, einen kühnen

Weitere Kostenlose Bücher