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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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hineinwerfen? Vielleicht nützt sie mir wenigstens jetzt irgendwie ...
    Da hörte er etwas knacken – ganz so, als ginge eine Tür auf. Hinter ihm gab es keine Tür, das wußte er genau, übrigens konnte er sich nicht umdrehen, denn die Gurte hielten ihn an den Sessel gefesselt. Ein Lichtstreifen fiel auf die Schirme, die Sterne darauf verblaßten, und Pirx vernahm die gedämpfte Stimme des Chefs.
    »Pilot Pirx!«
    Er wollte aufspringen, aber die Gurte hielten ihn fest. Er fiel zurück, glaubte wahnsinnig zu sein. Im Gang zwischen der Wand des Steuerraums und der gläsernen Hülle erschien der Chef. Er stand vor ihm in seiner ganzen Uniform, sah ihn mit grauen Augen an – und lächelte. Pirx wußte nicht, wie ihm geschah.
    Die gläserne Kapsel hob sich. Pirx begann instinktiv die Gurte zu lösen und stand auf. Die Schirme hinter dem Rücken des Chefs waren plötzlich wie weggeblasen.
    »Recht so, Pilot Pirx«, sagte der Chef. »Bemerkenswert.«
    Pirx wußte immer noch nicht, wie ihm geschah. Er stand stumm vor seinem Chef und machte etwas schrecklich Unvorschriftsmäßiges – er streckte den Kopf zur Seite, soweit der halb aufgeblasene Kragen das zuließ.
    Der ganze Gang mit der Klappe war beiseite geschoben – als sei die Rakete an dieser Stelle auseinandergebrochen. Pirx erkannte im Abendlicht die Gangway der Halle, die Menschen, die darauf standen, die Seile, die Gitter ... Er starrte den Chef mit halboffenem Mund an.
    »Komm, Junge«, sagte der. Langsam streckte er ihm die Hand entgegen. Pirx ergriff sie und fühlte, daß der Händedruck sich verstärkte. »Ich drücke dir im Namen aller meine Anerkennung aus, und in meinem eigenen Namen bitte ich dich um Verzeihung. Das ... muß so sein. Jetzt komm mit. Kannst dich bei mir waschen.«
    Er ging auf den Ausgang zu. Pirx folgte ihm, stakste schwer und unbeholfen. Draußen war es kühl, ein schwacher Wind wehte, er fiel in die Halle durch den Teil der Decke, der weggeschoben war. Beide Projektile standen an der gleichen Stelle wie zuvor – nur ein paar dicke Kabel, die in einem Bogen über dem freien Raum hingen, führten zu ihren Spitzen. Vorher waren diese Kabel nicht dagewesen.
    Der Instrukteur, der auf der Gangway stand, sagte irgend etwas zu ihm. Er verstand es nicht, durch die Haube könnte er schlecht hören.
    »Wie?« fragte er mechanisch.
    »Die Luft! Laß die Luft aus der Kombination!«
    »Ach so, die Luft ...«
    Er drückte auf das Ventil – es zischte. Er stand auf der Plattform. An den Seilen der Barriere warteten zwei Leute in weißen Kitteln. Seine Rakete sah aus, als habe sie einen gespaltenen Schnabel. Eine merkwürdige Schwäche überkam ihn – Verwunderung, Enttäuschung, die sich immer deutlicher in Ärger verwandelten.
    Sie öffneten die Klappe des zweiten Projektils. Der Chef stand auf der Gangway, weißbekittelte Menschen unterhielten sich mit ihm. Aus dem Innern der Rakete drang ein schwaches Knacken.
    Ein braunes, taumelndes Bündel Mensch stürzte heraus, der Kopf ohne Helm pendelte wie ein verschwimmender Fleck hin und her.
    Die Beine unter ihm knickten ein.
    Dieser Mensch dort, Boerst, war mit dem Mond zusammengestoßen.

 
Der bedingte Reflex
     
    Es geschah im vierten Jahr, kurz vor den Ferien. Pirx, der alle praktischen Übungen hinter sich hatte, stand nun vor weiteren Bewährungsproben: Es galt, mehrere Flüge auf Simulatoren zu bestehen, danach zwei echte Raumstarts und schließlich einen sogenannten »Kreis selbständig« – einen Mondflug mit Landung und Rückkehr. Er kam sich bereits vor wie ein »alter Hase«, der auf den Planeten zu Hause ist, wie ein ausgefuchster Weltraumfahrer, der sich nur in seinem abgetragenen Skaphander wohl fühlt, wie ein kühner Retter, der mit dem beschwörenden Ruf »Achtung, ein Meteoritenschwarm!« und einem blitzschnellen Wendemanöver das Raumschiff, sich selbst und die weniger aufmerksamen Gefährten vor dem Untergang bewahrt. Wenigstens stellte er sich das so vor, aber zu seinem Bedauern mußte er beim Rasieren immer wieder aufs neue konstatieren, daß man ihm die vielen schweren Erlebnisse so gar nicht ansah. Keines seiner Abenteuer hatte ihm bisher auch nur ein einziges graues Haar eingebracht – nicht einmal das schauderhafte Mißgeschick mit dem Harrelsbergerschen Apparat, der ihm bei der Landung auf dem Sinus Medii unter den Händen explodiert war. Ach was! Pirx erkannte betrübt, daß es sinnlos war, in dieser Hinsicht irgendwelchen Illusionen nachzuhängen – der Traum von den

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