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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Polarschneekappen: die letzten Reste von Wasser. Das feine, wie mit Brillanten in Glas geritzte Netz reiner Geometrie von den Polen bis zum Äquator: ein Zeugnis vom Kampf der Vernunft gegen die Vernichtung, ein starkes Bewässerungssystem, das Millionen Hektar Wüstengebiet versorgte – aber mit Einbruch des Frühjahrs veränderte sich dennoch die Farbe der Wüstenstriche, sie wurden dunkel von der erwachten Vegetation, und zwar auf eigenartige Weise: vom Äquator zu den Polen. Was für eine Idiotie. Von Kanälen keine Spur. Die Flora? Die geheimnisvollen frost- und sturmfesten Moose und Flechten? Polymerisierte höhere Kohlenoxyde, die den Boden bedeckten – und sich verflüchtigten, wenn der alptraumhafte Frost sich so weit milderte, daß er nur noch gräßlich war. Die Schneekappen? Gewöhnliches, erstarrtes CO 2 . Kein Wasser, kein Sauerstoff, kein Leben – zerklüftete Krater, von Sandstürmen zerfressene erratische Blöcke, langweilige Ebenen, eine tote, flache, graue Landschaft mit bleichem, rötlich-fahlem Himmel. Keine Wolken, nur gestaltlose Nebelschwaden, finster wie heftige Gewitter. Luftelektrizität dagegen – jede Menge und noch ein bißchen dazu. War da ein Ton? Ein Signal? Nein, der Wind harfte in den Stahlseilen des nächstgelegenen »Ballons«. In dem schmutzigen Licht (der vom Wind herangetragene Sand wurde binnen kurzem selbst mit dem härtesten Glas fertig, und auch die Wohnkuppeln aus Plaste sahen aus, als hätten sie den grauen Star) zündete er die Lampe über dem Waschbecken an und begann sich zu rasieren. Während er die Wangen spannte, dachte er einen Satz, der so dumm war, daß er lachen mußte: Der Mars ist ein Schwein.
    Das war wirklich eine Schweinerei, so viele Hoffnungen derart zu täuschen. Das paßte zur Tradition – aber von wem stammte die eigentlich? Von keinem einzelnen. Niemand hatte sich das allein ausgedacht; diese Konzeption war ebenso anonymer Herkunft wie Sagen und Legenden. Vielmehr war aus zusammengetragenen Phantasievorstellungen (der Astronomen? Mythen der beobachtenden Astronomie?) folgende Vision entstanden: Die weiße Venus, der wolkenverschleierte Morgen- und Abendstern, war ein junger Planet voller Dschungel und Echsen und vulkanischer Ozeane, mit einem Wort: die Vergangenheit der Erde. Der Mars dagegen – im Austrocknen begriffen, rostfarben, voller Sandstürme und Rätsel (die Kanäle zum Beispiel kriegten es nicht selten fertig, sich in ihrem Verlauf zu teilen, sie wurden über Nacht zu Zwillingen, was soundso viele Astronomen bestätigt hatten), der Mars, der mit seiner Zivilisation heroisch gegen die Abenddämmerung des Lebens ankämpfte, war die Zukunft der Erde; einfach, klar, deutlich, verständlich. So sehr, daß es von A bis Z nicht stimmte.
    Hinter dem einen Ohr sprossen drei Härchen, die der elektrische Apparat nicht zu fassen kriegt; das Rasiermesser war jedoch im Raumschiff geblieben, also versuchte er anders mit ihnen fertig zu werden. Es ging nicht. Der Mars. Diese Astronomen aus den Observatorien waren doch Leute mit blühender Phantasie gewesen. Schiaparelli zum Beispiel. Die unerhörten Namen, die er zusammen mit seinem größten Feind, dem Kanalgegner Antoniadi, all den Dingen gegeben hatte, die er nie gesehen, sondern sich nur vorgestellt hatte. Wenigstens in der Gegend, in der man gerade das Projekt errichtete: Agathodaemon. Dämon war klar, Agatho – von agathon = Weisheit? Schade, die Astronauten lernten kein Griechisch. Er hatte eine Schwäche für die alten Handbücher der stellaren und planetaren Astronomie. Diese rührende Selbstsicherheit: Im Jahre 1913 hatte man geschrieben, daß die Erde, vom Kosmos aus gesehen, rot sei, denn ihre Atmosphäre verschlucke den blauen Teil des Spektrums, also müsse das, was übrigbleibe, zumindest rosafarben sein. Ein Fehlschluß. Und dennoch, wenn man sich Schiaparellis prächtige Karten ansah, dann wollte einem einfach nicht in den Kopf, daß er etwas Nichtexistentes erblickt hatte. Und was am seltsamsten war: Andere nach ihm hatten es auch gesehen. Es war so etwas wie ein psychologisches Phänomen, dem man später keine Beachtung mehr schenkte. Zuerst bestanden vier Fünftel jedes Werkes über den Mars aus der Topographie und Topologie der Kanäle – so hatte sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ein Astronom gefunden, der ihr Netz einer statistischen Analyse unterzog und seine topologische Ähnlichkeit mit einer Bahn-, also Verkehrssystem im Unterschied zu dem Verlauf

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