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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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kannte er niemanden außer dem diensthabenden Kontrolleur. Er hätte zu ihm hinaufgehen können, aber das schmeckte ihm nicht. Es gehörte sich nicht, die Leute bei der Arbeit zu stören. Er urteilte aus eigener Erfahrung: Ungebetene Gäste mochte auch er nicht.
    In seinem Necessaire steckte die Thermosflasche mit einem Rest Kaffee und ein Päckchen Keks. Er bemühte sich, beim Essen keine Krümel zu verstreuen, spülte mit Kaffee nach und schaute durch die sandzerkratzte Fensterscheibe auf den alten, flachen, gleichsam todmüden Boden dieses Agathodaemons. Der Mars machte einen seltsamen Eindruck auf ihn: als wäre ihm alles gleichgültig und als wären deshalb die Krater so merkwürdig angehäuft, anders als die Mondkrater, wie ausgeschwemmt (hineinretuschiert, hatte er einmal beim Betrachten großer, guter Fotos gedacht), und als wirkten deshalb die wilden Klüfte so sinnlos, »Chaos« nannte man sie, die Lieblingsplätze der Areologen, denn ähnliche Formationen gab es auf der Erde nicht. Der Mars schien resigniert zu haben, er dachte weder daran, sein Wort zu halten, noch hielt er es für nötig, den Schein zu wahren. Wenn man sich ihm näherte, verlor er sein solides rotes Aussehen, hörte auf, ein Wahrzeichen des Kriegsgottes zu sein, überzog sich mit ausdruckslosem Dunkelgrau, mit Flecken und Schmutzspuren, zeigte keinerlei deutliche Konturen wie etwa die Erde oder der Mond. Verschwommenheit, rostiges Grau und ewiger Wind. Unter sich spürte er ein feines Zittern – ein Transformator. Ansonsten herrschte weiter Stille, in die ab und zu wie aus einer anderen Welt der ferne Gesang des Windes drang, der in den Seilen der Wohn-»Glocke« spielte. Der verteufelte Sand war mit der Zeit sogar mit den Zweizöllern aus hochveredeltem Stahl fertig geworden. Auf dem Mond konnte man jeden Gegenstand im Steingeröll liegenlassen und nach hundert, ja nach einer Million Jahren mit der Gewißheit zurückkehren, daß er unversehrt war. Auf dem Mars dagegen konnte man nichts aus der Hand legen – es versank auf Nimmerwiedersehen. Dieser Planet hatte kein Benehmen.
    Um sechs Uhr vierzig rötete sich der Horizont, die Sonne ging auf, und dieser Fleck Helligkeit (ohne Morgenröte, woher auch) erinnerte ihn unvermittelt durch seine Farbe an den nächtlichen Traum. Voller Verwunderung stellte er langsam die Thermosflasche weg und wußte auf einmal, worum es gegangen war. Jemand hatte ihn umbringen wollen – aber er hatte diesen Jemand getötet. Der Tote hatte ihn durch eine roterleuchtete Finsternis gejagt; er hatte noch ein paarmal versucht, ihm den Garaus zu machen, ohne daß es etwas half. Idiotisch natürlich, aber da war noch etwas gewesen: Er war so gut wie sicher, daß er im Traum diesen Mann gekannt hatte, jetzt jedoch hatte er keine Ahnung, mit wem er da so verzweifelt gekämpft hatte. Möglicherweise war ihm das Gefühl des Bekanntseins auch nur vom Traum vorgegaukelt worden. Er grübelte vergebens; das eigenwillige Gedächtnis blieb stumm, und alles verkroch sich wieder wie eine Schnecke im Haus. So stand er am Fenster, die Hand am Stahlrahmen, leicht verstört, als ginge es um wer weiß was. Der Tod. Es war klar, daß es mit der Weiterentwicklung der Raumfahrt auch zu Todesfällen auf den Planeten kam, und der Mond erwies sich in dieser Hinsicht als loyal. Hier versteinerten die Toten, wurden zu eisigen Bildsäulen, zu Mumien, deren Leichtigkeit, fast Gewichtslosigkeit das traurige Ereignis weniger tragisch erscheinen ließ. Auf dem Mars dagegen mußte man sich unverzüglich um sie kümmern, denn die Sandstürme zerschnitten jeden Skaphander binnen weniger Tage, und bevor die große Trockenheit die sterblichen Überreste mumifizieren konnte, waren die Gebeine freigelegt, poliert, geschliffen, bis das nackte Skelett in diesem fremden Sand, unter diesem schmutziggrauen, fremden Himmel zerfiel – eine Schmach, ein Vorwurf an das Gewissen, so als ob die Menschen, wenn sie auf ihren Raketen mit dem Leben zugleich auch die Sterblichkeit herbrachten, etwas Ungehöriges taten, etwas, dessen man sich schämen, das man wegtun, verstecken, vergraben mußte. All das hatte keinen Sinn, aber in diesem Augenblick empfand er es so.
    Um sieben Uhr war Ablösung bei den Flugkontrolleuren, und dann hatten auch Fremde zu ihren Arbeitsräumen Zutritt. Er verstaute seine paar Utensilien im Necessaire und ging mit dem Gedanken hinaus, daß er sich vergewissern mußte, ob die Entladung seines »Cuivier« reibungslos klappte. Bis Mittag

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