Pilot Pirx
aber je näher man kam, desto mehr verloren die »Bastionen« ihre Form, sie zerflossen, und die schwarzen Streifen, die an ihnen entlangliefen, erwiesen sich als tiefe Risse. Für Mondverhältnisse war das Gelände verhältnismäßig leicht passierbar. Jeder Tritt wirbelte Staub auf, der bis zur Gürtelhöhe aufstieg, sie in eine milchige, schneeweiße Wolke hüllte und nicht sinken wollte. Sie gingen deshalb nicht im Gänsemarsch, sondern nebeneinander, und als Pirx sich vor der Station umwandte, sah er deutlich den Weg, den sie zurückgelegt hatten. Er war durch drei unregelmäßige, balkenförmige Staubschlangen gekennzeichnet – heller als irdische Staubwolken.
Pirx wußte einiges über diesen Staub. Die ersten Eroberer hatten über diese Erscheinung gestaunt. Man hatte mit Staub gerechnet, doch selbst der feinste Staub hätte im luftleeren Raum sofort niedersinken müssen. Der Mondstaub tat es nicht, das heißt, er tat es nur am Tage nicht, bei Sonnenlicht. Wie sich nämlich herausgestellt hatte, verlaufen die elektronischen Erscheinungen auf dem Mond anders als auf der Erde. Auf der Erde gibt es atmosphärische Entladungen – Blitze, Donnerschläge, Elmsfeuer. Auf dem Mond gibt es so etwas nicht, aber die mit Teilchenstrahlung bombardierten Felsen laden sich mit der gleichen Ladung auf, wie sie der Staub besitzt, der sie bedeckt. Da sich gleiche Ladungen abstoßen, hält sich der Staub, wenn er erst einmal aufgewirbelt ist, dank der elektrostatischen Abstoßung manchmal sogar eine ganze Stunde. Je mehr Sonnenflecken es gibt, desto stärker »staubt« der Mond ein. Auch diese Erscheinung verschwindet erst einige Stunden nach Einbruch der Nacht, dieser entsetzlichen Nacht, der nur besondere, zweiwandige, thermosartige gefestigte Skaphander gewachsen sind, die selbst auf dem Mond ein verteufeltes Gewicht haben.
Diese gelehrten Erwägungen fanden mit der Ankunft am Haupteingang der Station vorerst ihr Ende. Man nahm die drei gastlich auf. Der wissenschaftliche Leiter der Station, Professor Ganschin, war sehr groß – Pirx glaubte in seinem hohen Wuchs ein gewisses Gegengewicht zu seiner Pausbäckigkeit zu sehen. Ganschin schaute im wahrsten Sinne des Wortes von oben auf ihn herab, aber sein Kollege, Dr. Pnin, war noch größer, er maß mindestens zwei Meter.
Es gab dort noch drei andere Russen, vielleicht auch mehr, aber sie ließen sich nicht blicken – sicherlich hatten sie Dienst. Oben waren ein astronomisches Observatorium und eine Rundfunkstation eingerichtet; durch den schräg in den Felsen gehauenen und betonierten Tunnel kam man in eine besondere kleine Kuppel, über der sich große Radarschirme drehten; durch die Illuminatoren konnte man dicht am Rande der Station so etwas wie ein silbrig glänzendes Spinnennetz erkennen. Es war das wichtigste Radioteleskop, das größte auf dem Mond. Mit der Seilbahn war man in einer halben Stunde dort.
Die Station war viel größer, als es den Anschein hatte. In unterirdischen Räumen befanden sich gewaltige Wasserreservoirs, Luftbehälter und Lebensmittelspeicher; in dem vom Talkessel aus unsichtbaren, in den Felsenriß eingebauten Flügel standen Transformatoren, die die Strahlungsenergie der Sonne in elektrische Energie umsetzten. Außer dem gab es dort noch etwas Herrliches: ein gewaltiges hydroponisches Solarium unter einer Kuppel aus stahlbewehrtem Quarz. Pirx erblickte Blumen über Blumen, große Behälter mit irgendwelchen Pflanzen, die Vitamine und Eiweiß lieferten – und einen Bananenbaum. Pirx und Langner kosteten diese auf dem Mond gezüchteten Früchte. Dr. Pnin erklärte ihnen lachend, daß die Bananen noch nicht zur täglichen Nahrung der Mannschaft gehörten, sie seien vorerst nur für Gäste da.
Langner, der schon gewisse Vorstellungen vom Bauwesen auf dem Mond hatte, begann Fragen über Einzelheiten der Quarzkuppel zu stellen, denn die hatte ihn mehr beeindruckt als die Bananen. Der Bau war wirklich originell. Da außen Vakuum herrschte, mußte die Kuppel dem ständigen Druck von neun Tonnen pro Quadratmeter standhalten, was bei ihren Abmessungen die imposante Zahl von zweitausendachthundert Tonnen ergab. Die im Solarium gehaltene Luft drohte die Kuppel zu sprengen. Da die Konstrukteure auf Eisenbeton verzichten mußten, hatten sie geschweißte Rippen in den Quarz geschmolzen, die die ganze Spannkraft, nahezu drei Millionen Kilogramm, auf ein Iridiumschild an der Spitze weiterleiteten. Von dort führten mächtige Stahlseile nach außen, die
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