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 Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Weg zum Steuerraum begegnete er niemandem. Im Korridor war es totenstill, Pirx kam es vor, als fliege das Schiff bereits im Vakuum. Die Wände waren fleckig, die Leinen – sie dienten im Zustand der Schwerelosigkeit als Halt – hingen verrottet herab, und die Muffen der Rohrleitungen, dutzendemal geschweißt, glichen angekohlten Knollen, wie man sie aus einem Aschenhaufen herausklaubt. Pirx durchquerte einen Gang, dann einen zweiten, abfallenden, und erreichte schließlich einen sechseckigen Raum mit seitlich abgerundeten Metalltüren, die nicht mit Pneumatics versehen waren, sondern mit schnurumwundenen kupfernen Klinken.
    Die kleinen Fenster der Numeratoren zeigten gläserne Augäpfel. Pirx drückte auf den Taster des Informators – ein Knacken im Übermittler, ein Rascheln in der Metallbuchse, aber das kleine Schild blieb dunkel.
    Was tun? überlegte er. Beim Überwachungsdienst beschweren?
    Er öffnete eine Tür. Der Steuerraum glich einem Thronsaal. Pirx sah sein Spiegelbild auf den Bildschirmen. In seinem Übergangsmantel und mit dem Koffer in der Hand erinnerte er an einen Spießer, der sich verlaufen hat. Sein Hut hatte im Regen völlig die Form verloren. Etwas erhöht standen die Pilotensitze, deren Ausmaße beeindruckend waren. Ihre Sitzflächen bewahrten noch den Abdruck menschlicher Körper.
    Er setzte den Koffer ab, trat an den einen Sitz heran und erschrak vor seinem eigenen Schatten, als sei er dem Gespenst des letzten Steuermanns begegnet. Er schlug mit der Hand auf die Lehne. Staub wirbelte auf, stieg ihm in die Nase und zwang ihn zu niesen – einmal, zweimal. Er wurde wütend, mußte aber unvermittelt lachen. Der Pianobelag war schon morsch, und solche Kalkulatoren hatte er auch noch nicht gesehen. Ihr Projektant war wohl auf Orgeln spezialisiert, dachte er belustigt. An den Pulten gab es unzählige Meßuhren – hundert Augen hätte man haben müssen, um sie alle auf einmal zu überschauen.
    Pirx wandte sich ab, sein prüfender Blick glitt von Wand zu Wand. Er sah das Gewirr der geflickten Kabel, die korrodierten Isolationsplatten, das verblichene Rot der Löschleitungen und die ausgeleierten Eisenkurbeln zum Herunterlassen der hermetischen Sperrplatten. Alles war alt an diesem Schiff, alt und verstaubt ...
    Als er mit der Fußspitze gegen die Amortisatoren des Sitzes stieß, floß Öl aus der Hydraulik. Ach was! sagte er sich. Wenn andere geflogen sind, kann ich das auch ... Er verließ den Steuerraum, öffnete die gegenüberliegende Tür, betrat einen Seitengang und schritt weiter. Kurz hinter dem Fahrstuhlschacht entdeckte er eine dunkle Einbuchtung in der Wand. Er legte die Hand darauf und fand seine Vermutung bestätigt: eine Plombe! Weitere Spuren von Lecks sah er nicht, man hatte offenbar die gesamte Sektion erneuert, denn Decke und Wände waren makellos glatt. Sein Blick fiel erneut auf die Plombe. Der Zement war zu einem Klumpen erstarrt. Pirx glaubte den Abdruck von Händen zu erkennen, von Händen, die in fieberhafter Eile gearbeitet haben mußten ... Er stieg in den Aufzug und fuhr zur Atomsäule hinunter. An der Türscheibe glitten Leuchtziffern vorbei, sie zeigten die einzelnen Decks an: siebentes, sechstes, fünftes ...
    Unten war es kühl. Der Korridor verlief im Bogen, vereinigte sich mit anderen zu einem langen, niedrigen Flur. Pirx sah an seinem Ende die Tür zur Atomsäulekammer. Je weiter er kam, desto niedriger wurden die Temperaturen, sein Atem dampfte weiß im Licht der verstaubten Lampen. Woher die Kälte? fragte er sich kopfschüttelnd.
    Die Kühlaggregate? Sie müssen hier irgendwo sein ... Er lauschte. Die Bleche der Verschalung vibrierten.
    Pirx ging weiter, er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, immer tiefer ins Erdinnere hinabzusteigen. Es hallte dumpf, wenn er die Füße aufsetzte, der Schall brach sich an der niedrigen Decke. Endlich erreichte er die Tür, sie war hermetisch verschlossen, die Kurbel ließ sich nicht bewegen. Er versuchte es mit Gewalt, aber sie rührte sich nicht. Schon wollte er den Fuß dagegenstemmen, da fiel ihm ein, daß er erst das Sicherungsstäbchen herausziehen mußte.
    Es folgte ein weiteres Hindernis, eine Art Flügeltür – stark wie die Wand eines Panzerschranks. In Augenhöhe waren die Reste von Buchstaben zu erkennen, der rote Lack war halb abgeblättert:
    LEB ... G ... HR
    Ein enger, finsterer Gang schloß sich an. Pirx setzte den Fuß auf die Schwelle – es klickte, grelles Licht blendete ihn, gleichzeitig flammte ein

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