Pinien sind stumme Zeugen
glatter, eine Spur zu elegant gekleideter Mann – reich, dreist und provokant –, setzte erst einmal die Akteneinsicht durch. Er fand sich sofort mit Einzelheiten zurecht, den richtig wiedergegebenen wie den falschen und den verschwiegenen.
»Eine saubere Geschichte«, begrüßte Dr. Hyazinth Frey beim Mittagessen im ›Rüden‹ seinen Klienten. »Haben Sie viel Geld in Amerika investiert?«
»Sehr viel«, erwiderte der Freiherr.
»Alles offen angelegt?«
»In den USA schon …«
»Mist«, versetzte der Mann aus der City. »Und die Kunstwerke?«
»Verkörpern allein einen Wert von etwa fünfzig Millionen Dollar.«
»Ich habe Korrespondenzanwälte in Washington. Sie werden in unserem Auftrag den ›Supreme Court‹ anrufen, das höchste US-Gericht. Vielleicht kommen wir durch. Aber was die Amerikaner einmal haben, das verteidigen sie nach meinen Erfahrungen mit Zähnen und Klauen, zumal in einem solchen Fall, der sich gewissermaßen im Niemandsland abspielt. Die deutschen Agenten waren rechtskräftig verurteilt worden, und ihre Aussagen haben Sie belastet. Die Schweinerei ist, daß man sie erst heute gegen Sie vorbringt, da die meisten Zeugen schon tot sind. Ich will Ihnen die Sache nicht vergällen, Baron, aber was die USA betrifft, habe ich keine allzu große Hoffnung.«
Der Geldmann nickte düster. Auf diesen Vorwurf war er nicht gefaßt gewesen, doch er erkannte mögliche Folgen.
»Ganz anders sieht es in der Schweiz aus«, versicherte Dr. Frey. »Da bring' ich Sie aus allem raus. Das garantier' ich Ihnen. Sie werden Ihren Paß behalten und auch Ehrendoktor der Universität Zürich und Ehrenbürger von Ascona bleiben.« Er lächelte wie ein Professor, der den Kandidaten durchschaut. »Da gibt es Bankiers, Oberstdivisionäre, Minister, Stadtpräsidenten, Nationalräte, Rüstungsindustrielle und Kantonalgrößen; die haben alle einen Namen und wenig Interesse, daß man sie im Zusammenhang mit diesen alten Geschichten nennt. Da brauchen Sie nur Geduld, Baron. Die Rehabilitierung kann sich eine Weile hinziehen – es ist ein Kampf hinter den Kulissen; zum Glück scheuen alle die Öffentlichkeit. Es ist möglich, daß wir warten müssen, bis ein paar der neuen Leute wieder in der Versenkung verschwinden; aber wir kommen durch, und Ihr Vermögen in der Schweiz wird nicht angetastet werden.«
»Und die Goldverkäufe?«
»Lächerlich«, entgegnete der Anwalt. »Woher sollten Sie gewußt haben, wieviel Goldreserven Deutschland wirklich hatte – und umgekehrt: Warum hätten es dann die ehrbaren Schweizer, die es in gutem Glauben erwarben, nicht gewußt? Dieses Edelmetall«, stellte er fest, »hat doch nie eine definierbare Vergangenheit – das fing doch schon mit Mord und Totschlag beim Gold der alten Inkas an. Also: Kopf hoch!«
Ralph von Wintersheim fuhr nach Ascona zurück. Er war kein Nabob mehr, aber es ging ihm auch nicht schlecht. Ein Geldmensch wie er hat überall ein paar kleine Summen versteckt, die für Normalbürger schon ein Vermögen waren. Schlimm war nur, daß er die Schweiz nicht verlassen konnte, da seine Wiedereinreise nicht garantiert wäre.
Der Baron verschlang weiterhin alle Zeitungen, deren er habhaft werden konnte. Kein Wort über seinen Fall; offensichtlich lag den eidgenössischen Behörden genauso an absoluter Verschwiegenheit wie ihm. Niemand tratschte über Ralph von Wintersheim, er wurde höflich gegrüßt wie immer, und man betrachtete es als Ehre, von ihm empfangen zu werden.
Sein bedrängtes Asyl war durchaus auszuhalten, vor allem, wenn er in den Zeitungen las, was sich andernorts abgespielt hatte: Am 1. Dezember 45 zum Beispiel wurde der frühere Oberbefehlshaber des LXXV. Armeecorps – er hatte in La Spezia fünfzehn OSS-Agenten des Unternehmens ›Blow-up‹ ohne Gerichtsverhandlung erschießen lassen – von einem US-Tribunal in Italien zum Tode verurteilt und exekutiert. Anton Dostler war der erste deutsche General, den man als Kriegsverbrecher hinrichtete.
Der Baron fühlte sich einsam; er sehnte sich nach Mario, telefonierte mit ihm, wartete auf seine Briefe. Lange Zeit hörte er nichts über seinen Fall. Wenn er bei seinem Anwalt in Zürich intervenierte, erwiderte der smarte Dr. Frey: »Sie wissen doch, wie das ist. Unsere Behörden stecken sich hinter die Amerikaner. Solange Washington nicht endgültig entschieden hat, passiert auch hier nichts.«
»Verschaffen Sie mir wenigstens eine Wiedereinreisegarantie!« bat der Baron.
»Die werde ich Ihnen
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