Pinien sind stumme Zeugen
deutschen Nationalsozialisten und italienischen Faschisten. Er war zu allen liebenswürdig und entgegenkommend, auch wenn er sorgfältig verbarg, wie weit- oder weniger weit – er dabei ging.
Der Polyglotte las alle Zeitungen, die aufzutreiben waren, amerikanische, englische, französische, italienische und schweizerische. Viele der Namen, die in den Schlagzeilen auftauchten, im guten wie im schlechten, waren persönliche Bekannte von ihm, nahmen Siegesparaden ab oder bevölkerten die Kriegsverbrechergefängnisse. Bekannte Größen waren ins tiefste Parterre gestürzt, Namen ohne Klang zu hohen Rängen aufgestiegen. Es war zu erwarten gewesen, daß das Ende des Zweiten Weltkriegs gewaltige Veränderungen mit sich bringen würde, und Baron von Wintersheim verfolgte interessiert den Schicksalspoker.
Er stand außerhalb, dank Selbstvorsorge; wenn man mit vielen gut stand, konnte man künftig auf manchen verzichten. Den Vorwurf des Opportunismus wies der Edelmann weit von sich. Die Rückversicherung gehörte zu seinen kommerziellen Praktiken, er war nun einmal ein glänzender Geschäftsmann.
Bei dem einen oder anderen Machthaber in Deutschland war er, zum Glück mit äußerster Heimlichkeit, mit Gefälligkeiten vielleicht doch ein wenig zu weit gegangen; aber Probleme, die sich daraus ergeben konnten, lösten sich von selbst, denn die Namen dieser Männer standen in den alliierten Fahndungslisten ganz obenauf: Kaltenbrunner und Pohl zum Beispiel, auf deren Veranlassung die gefährlichen Auslagerungsfahrten nach Mezzocorona zurückgingen, waren bereits verhaftet worden, sogar diese Randfigur Müller-Malbach. Es fehlten eigentlich nur noch zwei, die vielleicht schon Selbstmord begangen hatten oder in Tagen, höchstens Wochen von den Alliierten festgenommen würden und bei denen der schreckliche Straftenor lauten würde: ›Death by hanging‹.
Die Behaglichkeit dieses schönen Tages, das bereinigte Gewissen des Barons und sein Besitzerstolz auf einen wohl einmaligen Reichtum an Geld, Gold und Kunstwerken endete durch einen Telefonanruf. Zu seiner Enttäuschung war nicht Mario in der Leitung, sondern der Filialdirektor seiner Locarneser Bank, über die er viele Geschäfte abzuwickeln pflegte.
»Pardon, Herr Baron«, sagte er mit ungewöhnlicher und unhöflicher Hast. »Könnten Sie bitte sofort bei mir vorbeikommen?«
»Was ist denn los?« fragte der Angerufene mit leichtem Tadel in der Stimme.
»Ganz dringend«, wich der Bankbeamte aus. »Es hat sich etwas Furchtbares ereignet; ich möchte aber in Ihrem Interesse am Telefon nicht darüber sprechen.«
Es waren nur zehn Autominuten bis zu dem Bankpalast an der Piazza Grande von Locarno. Der Direktor stand wie zufällig in der Schalterhalle. Er wirkte erleichtert, als er den Eintretenden sah.
»Wir haben einen unangenehmen Besucher im Haus«, raunte er dem Kunden auf der Treppe zu. »Ich – ich kann nichts dafür, aber ich wollte Sie nicht ungewarnt … Verstehen Sie?«
»Nein«, antwortete der Baron, verwundert über das verstörte Gehabe dieses Wichtigtuers.
Der Unbekannte, der im Büro wartete, war ein Mann, kein Herr. Er erhob sich nur halb, als der Direktor mit dem prominenten Kunden ankam.
»Heinrich Stichler«, stellte er sich vor. »Ich bin von der Zentrale der Eidgenössischen Fremdenpolizei in Bern.« Er wandte sich an den Filialleiter. »Bitte lassen Sie uns jetzt allein.«
Er wartete, bis sich die wattierte Tür geschlossen hatte.
»Ich habe Ihnen, Baron Wintersheim, eine sehr unangenehme Eröffnung zu machen«, begann er dann. »Während des Kriegs wurden von der US-Spionageabwehr in Amerika und Mexiko eine Reihe deutscher Agenten verhaftet. Die Ermittlungen ergaben, daß ihre Tätigkeit von der Schweiz, und zwar von Locarno aus finanziert wurde. In diesem Haus gab es eine besondere Treuhandstelle, und die gehörte Ihnen.«
»Ich war nur stiller Teilhaber, mit den Geschäften selbst hatte ich nicht das geringste zu tun.«
»Die Amerikaner behaupten das Gegenteil«, erwiderte der Polizeikommissar. »Sie stellten fest, daß Ihre anderen Partner nur Strohmänner waren und Sie nicht nur über Locarno, sondern in der ganzen Schweiz mit Gold und Devisen Milliardengeschäfte zugunsten der Nazi-Spionage abwickelten.«
»Wer das behauptet, ist ein Lügner oder verrückt«, entgegnete der Baron erregt.
»Die Amerikaner legen Beweise vor«, versetzte der Beamte fast träge. »Aufgrund des ›Enemy-acts‹ hat man in den USA soeben Ihr gesamtes
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